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Montag, 9. März 2020

The Last Car

Tesla Cybertruck


Vielleicht geht der 21.11.2019 in die Geschichte des Autodesign ein. Vielleicht markiert er sogar ein wichtiges Datum für die Entwicklung der menschlichen Mobilität. Das liegt nicht am Design des an diesem Termin der Öffentlichkeit präsentierten Cybertruck, jedenfalls liegt es nicht daran, dass dieses Design grundlegend neu wäre.

Wie inzwischen vielfach gezeigt wurde, gibt es für das streng geometrische, facettierte Brutaldesign des Tesla Cybertruck viele Vorbilder.
Man kann hier gepanzerte Militärfahrzeuge, Stealth-Bomber oder -Schiffe als Ideenspender sehen, viele radikale Sportwagenstudien aus den 70ern nennen, oder sich an die 2008 präsentierte Superyacht 118 Wallypower erinnern. Die mit Jettriebwerken ausgestattete Wally-Yacht war ein heftiges Statement des rücksichtslosen Luxus’. Während sie nach außen kriegerisch – nämlich gepanzert – wirkte, hielt sie für ihre Benutzer, unter Einsatz der selben vereinfachten Formsprache, eine Zen-hafte optische Stille bereit, eine Art von Komfort, die seit Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon als moderne Alternative zur barocken Üppigkeit zur Verfügung steht für jene Wohlhabenden, die allerhöchste Bildung und Kultur demonstrieren wollen. Ich frage mich seit Jahren, wie wohl die Übertragung der Designprinzipien, die Luca Bassani bei der 118 Wallypower anwandte, auf ein Straßenfahrzeug aussehen müsste. Teslas Cybertruck ist sicher auch eine Antwort auf diese Frage.

Wenn man facettiertes Design mit spitz-keilförmigen Flächen als Trend betrachten will, dann hatte der seinen Höhepunkt eigentlich schon vor einigen Jahren.
In Grafik und Design kam ca. 2012 der Low-Poly Stil auf, also die Darstellung dreidimensionaler Gegenstände mit einer reduzierten Anzahl flächiger Polygone.
Aus Papppolygonen geklebte Wandschmuckobjekte verbanden die Atmosphäre des »röhrenden Hirsches« mit einer Idee von moderner Cybertechnik.
Die origami-artig gefaltete Evolution Door des Wiener Künstlers und Designers Klemens Torggler zeigte 2014, wie sich dreieckige Flächen im Raum zu höchst interessanten Funktionsobjekten zusammenfügen lassen.
Das Designerlabel United Nude brachte 2016 mit dem »LoRes Car« eine bemerkenswerte – doch weitgehend folgenlose – Studie zum Thema geometrische Vereinfachung komplexer Volumen: Ein Lamborghini Countach wurde schrittweise einem Prozess der Vereinfachung finiter Elemente unterzogen, bis am Schluss ein schockierend simples, an einen geschliffenen Edelstein erinnerndes Gebilde herauskam, das zwar nichts mehr mit einem Auto gemeinsam hatte, aber als Fahrzeug durchaus vorstellbar war.

Der 2017 erschienene zweite Teil des stilbildenden Filmklassikers »The Blade Runner« (Blade Runner 2049) zeigt nicht nur bei den Fahrzeugen, sondern auch in der Architektur dieselben geraden Linien, spitzen Winkel und facettierten Flächen, sowohl eine Referenz auf den Originalfilm als auch auch im völligem Einklang mit dem (noch) aktuellen Designtrend.
Nun ist »The Blade Runner« aus mehreren Gründen ein Kunstwerk, das im Zusammenhang mit dem Cybertruck näher betrachtet werden sollte. Elon Musk, Teslas Spiritus Rector, twitterte schon 2012 »Would love to make a Tesla Supertruck with crazy torque, dynamic air suspension and corners like it’s on rails. That’d be sweet…« und detaillierte 2018 in einem Interview mit Vox Recode: »Well I can’t talk about the details, but it’s gonna be like a really futuristic-like cyberpunk, ‘Blade Runner’ pickup truck.« Da war die Entscheidung für das jetzt gezeigte Design noch nicht gefallen.

The Blade Runner ist eine Dystopie. Der Film erzählt seine Geschichte in einer finsteren, verbauten Welt, in der es ständig regnet und alles zwar für unsre Augen futuristisch, aber gleichzeitig auch kaputt und verbraucht aussieht. Das Setting wirkt lebensfeindlich, gefährlich und kalt. Nur in kleinen Räumen und Fahrzeugen kommt manchmal so etwas wie ein Gefühl des Vertrauens auf, es sind Mikromomente, in denen die ständige Anspannung der Protagonisten etwas nachzulassen scheint, auch wenn die nächste Bedrohung draußen schon wartet. 

Wie sieht unsre Realität im Jahre 2019 aus? Das in den 80er Jahren erfundene »Cocooning« als Reaktion auf eine als gefährlich empfundene Welt (das im Citroën C4 Cactus seine bisher augenfälligste Umsetzung erfuhr) funktioniert nicht mehr, jedenfalls nicht als behagliche Abpolsterung. Die schlechten Nachrichten von Klimawandel, weltweiter Ausbeutung und einem drohenden Zusammenbuch aller Systeme dringen immer stärker auf die Menschen in Mitteleuropa ein, und Abgrenzungsstrategien als Reaktion darauf funktionieren immer schlechter. In dieser ohnehin als feindselig erlebten Welt kommt eine medial geförderte Meinungs-Spaltung in allen Ebenen der Gesellschaft hinzu – der Umgangston wird immer aggressiver, die Positionen unversöhnlicher, sachbasiertes, nüchternes Denken wird immer seltener oder degeneriert ebenfalls zur Pose. Unsere Welt mag nicht so kaputt und lebensfeindlich aussehen wie die, in der Rick Deckart unterwegs ist, aber sie ist fast ebenso unübersichtlich, bedrohlich und naturfern.

Das ist der Hintergrund. Man kann nun den Cybertruck auf drei Bedeutungsebenen interpretieren. Und die Verbindung dieser drei Ebenen in einem Produkt ist das eigentlich Bedeutsame des Cybertruck. Wir kommen am Schluss darauf zurück.

1. Ebene: Kulturelles Spiel


Wie aus Elon Musks Äußerungen hervor geht, ist das Design des Cybertruck inspiriert von Science Fiction, insbesondere von dystopischen Visionen. Der Begriff Cyberpunk, mit dem versucht wurde, ähnliche Ansätze von Autoren, Gestaltern und Regisseuren zusammen zu fassen, spiegelt sich ja schon im Namen des Cybertruck wider.
Mit Cyberpunk lässt sich der spielerische Umgang mit Endzeitszenarien bezeichnen. Es handelt sich letztlich nur um einen Stil, der die Frage »was wäre, wenn« (unsere menschliche Kultur an sich selbst zugrunde ginge) mittels Design beantwortet. Funktionieren kann das nur, wenn man dieses Zugrundegehen als vermeidbar oder nicht akut betrachtet. Wer Cyberpunk lebt, hat die romantische Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm kommt. Es ist ein Rollenspiel, in dem die Bedrohungen eben doch nicht in letzter Konsequenz tödlich sind und die Verselbständigung der künstlichen Intelligenz nur eine angenehm schaurige Idee ist. Das Spiel, das unser Leben ist, kann notfalls unterbrochen, korrigiert und neu begonnen werden – doch zunächst spielen wir weiter und stellen nicht die Frage nach dem Ausweg. Diese Haltung macht Vorgänge und Entwicklungen erträglich, die andernfalls Verzweiflung auslösen würden. Sie lässt den finalen Überlebenskampf als sportliches Ereignis erscheinen; vielleicht gewinnen wir nicht, aber überleben werden wir jedenfalls.
Wie man sieht, steht diese Lebens-Stilrichtung in einem interessanten Bezug zu einer Grundeinstellung, die bei Elon Musk so klingt: Die Chancen, dass wir in einer realen Welt leben und nicht in einer Simulation stehen Eins zu einer Million. Das ist seine aus der aktuellen Entwicklung der Computerspiele und der virtuellen Realität abgeleitete logische Folgerung: Wir leben sehr wahrscheinlich in einer Simulation. Daraus ergibt sich aber für ihn nicht, dass unsre Handlungen gleichgültig sind. Denn wir kennen den Ausgang aus dem Spiel nicht und sind Teil davon. Wir haben keine andere Wahl als möglichst gut zu spielen und unser Überleben zu sichern.
Cyberpunk ist ästhetisch interessant, philosophisch spannend und kulturell tief. Wer, wie Musk und sein Team, solche Ideen und Bilder verinnerlicht hat, für den ist ihre Umsetzung außerhalb der physikalisch folgenlosen Welt von Film und Roman – also in der »Realität« – höchst attraktiv. Gleichzeitig geben die Ideen des Cyberpunk den weltanschaulichen Spielraum für mutige, wenn nicht sogar radikale Entscheidungen. Es kommt unter diesen Prämissen nämlich nicht so sehr darauf an, man kann spielen, man kann probieren, was geschieht, wenn… Das ist das Gegenteil einer von Verlustangst dominierten konservativen Weltsicht, deren fehlende Bereitschaft zur Veränderung jede Korrektur schädlichen Verhaltens blockiert und damit in den Totalverlust führt. 
Musk ist ein Spieler, und das bringt enorme Chancen. 

2. Ebene: Die Befreiung vom Styling


In der Einleitung habe ich die Moden und Trends, die zu einem Low-Poly Stil wie dem des Cybertruck geführt haben könnten kurz angedeutet. Wäre der Cybertruck ein konventionelles Fahrzeug, das auf konventionelle Weise gefertigt wird, dann wäre die Analyse an dieser Stelle praktisch schon zu Ende und man könnte zur Kritik übergehen. Es wäre ätzende Kritik. Denn: Was bringt es, die nächste stilistische Sau durch das kleine, von inzestuösen Fahrzeugdesignern bewohnte Dorf zu jagen? Welche Probleme löst das radikale Erscheinungsbild, welche Funktion erfüllt es, außer der, viel Aufmerksamkeit zu generieren? Ist es nicht verantwortungslos, sich eine dermaßen krasse Abweichung vom Gewohnten zu erlauben, ohne dabei die wirklich wichtigen Antworten zu geben? Eine Andeutung von Low-Poly als Stil, wie bei Skoda oder bestimmten Hyundai-Studien mag zu rechtfertigen sein. Aber das?
Nun, der Punkt ist: Tesla gibt einige dieser wichtigen Antworten. Nicht nur mit dem Elektroantrieb, sondern auch mit der Bauart des Cybertruck, dessen selbsttragende Karosserie aus abgekanteten, quasi »gefalteten« Edelstahlblechen besteht. Werbewirksam spricht man von »Exoskelett«. Ich hielt das zunächst für einen reinen PR-Begriff, bis mir klar wurde, dass Tesla hier die Aufgabenteilung zwischen tragenden Teilen und Verkleidungsteilen überwunden hat – es gibt nicht mehr die Unterscheidbarkeit zwischen strukturellen Teilen und Außenhaut. Was man sieht ist das, woraus der Cybertruck besteht. Das ist durchaus revolutionär. Denn es bedeutet einen großen Schritt Richtung Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Damit erklärt sich auch, warum der Cybertruck trotz des Akkus nicht teurer und nicht schwerer wird als gleich große Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb. Teslas Strategie der Funktionsintegration und Teilereduktion, die schon beim Model 3 angewandt wurde, ist hier in aller Konsequenz weitergeführt. 
Und damit kehren Musk und von Holzhausen eventuell zurück in die Welt des echten authentischen Design und lassen das Styling hinter sich, welches die Autowelt komplett durchdrungen und überkrustet hat. Was zunächst aussieht wie eine besonders schamlose Anwendung der Prinzipen des Styling erweist sich bei genauerer Betrachtung als streng funktional gerechtfertigt. Ich schreibe bewusst nicht: funktional motiviert. Denn der Verdacht, die Entscheidung für das Cyber-Design sei vor der Entscheidung für die gefaltete Edelstahl-Karosserie gefallen, drängt sich sehr auf. Aber das ist eben Design: Das harmonisch moderierte Zusammenspiel von Form, Funktion und Emotion.

3. Ebene: Das Leben der kommenden Jahre


Zunächst eine Einordnung: Der Cybertruck entspricht in seinen Abmessungen exakt dem Ford F-150, einem fünfsitzigen PickUp, der, zusammen mit den anderen Varianten der F-Reihe, die Rolle des bestverkauften Autos in den USA übernimmt, und das seit 43 Jahren. Symbolisch gesprochen handelt es sich tatsächlich um den »amerikanischen Golf«. Ja, ein großer Pick Up ist das häufigste Auto in USA für den privaten Nutzer! Ich schicke das voraus, weil der Cybertruck uns als Europäern unanständig groß erscheinen mag, eine maßlose Inanspruchnahme von Raum und Materie, physisch wie visuell. 
In seinem Herkunftsland ist das anders, und das sollte man bei einer Einordnung des Fahrzeuges nicht vergessen. Der Cybertruck ist ca. 10 cm niedriger als der F-150, seine Front endet ebenfalls 15 cm (oder ein Viertel der Karosseriehöhe) näher über der Straße. Dazu kommt, dass er durch die geraden Kanten und Flächen weniger voluminös als sein klassischer Mitbewerber wirkt – im direkten Vergleich ist das Wort »zierlich« überraschenderweise das, was einem einfällt.

Unsere Gesellschaft wird voraussichtlich trotz der Warnungen von Wissenschaftlern und trotz der Appelle von jungen Menschen im »weiter so« Modus verbleiben. Die lange vorhergesagten klimatischen, geosozialen und wirtschaftlichen Katastrophen werden in der einen oder anderen Form stattfinden, entsprechende Kipppunkte sind bereits erreicht und überschritten, während wir eifrig und dickköpfig über Details einer langsamen Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften – oder, grundsätzlich, über die Notwenigkeit dazu – diskutieren. Trotz oder gerade wegen der möglichen Katastrophenhaftigkeit der kommenden Jahre wird der Westen so lange wie möglich weiter machen wie gewohnt. Der Klimanotstand wird ausgerufen, man gewöhnt sich daran und bleibt beim Konsum. Strukturen werden zerfallen, aber – schlecht und recht – weiter funktionieren. Die Welt des Blade Runner wird langsam zur Wirklichkeit, oder umgekehrt: Die Wirklichkeit verwandelt sich langsam in das, was in den klassischen Dystopien mit wohligem Schauer als dunkle, aber hoffentlich unwahrscheinliche Zukunft dargestellt wurde.
In diesem Zusammenhang muss über Gewalt gesprochen werden. Aber nicht über physische Gewalt, gegen die der Cybertruck mit 3 mm Edelstahl und Panzerglas gerüstet wurde. Wir sprechen über semantische Gewalt, also von Formen und Proportionen, die von jedem unweigerlich als bedrohlich und einschüchternd erlebt werden, und die das Leben auf der Straße zu einem Kampf machen. Fußgänger, Zweiradfahrer und Nutzer kleiner, ressourcenschonender Fahrzeuge werden symbolisch an den Rand gedrängt durch Autos, deren Design immer aggressiver wird. Dieses Design ist ein Erfolgsfaktor, und das bedeutet, dass die Käufer solcher Produkte bewusst oder nicht, freiwillig oder nicht, zu seiner Verbreitung und Steigerung beitragen. Zusätzlich beanspruchen unsere Autos durch Größenwachstum immer mehr Platz in einer durch Natur und historische Bausubstanz maßlich begrenzen Welt. Um es deutlich zu sagen: Das Problem liegt konkret darin, dass der Raum für alles, was nicht Auto ist, dadurch immer kleiner wird. Auch dieses Besetzen öffentlichen, also potentiell allen Menschen gehörenden Raumes, ist eine Form von Gewalt. (Anmerkung: Autos dieser Größe haben in Mitteleuropa meiner Meinung nach prinzipiell nichts verloren. Das Thema des begrenzten Raumes ist im Herkunftsland der Cybertruck nicht akut, ich bin mit dieses Unterschieds bewusst. Zur Fortsetzung des Gedankenstromes hilft es, sich klar zu machen, dass solche Fahrzeuge bei uns trotzdem verkauft und genutzt werden. Wir setzen also voraus, dass der Tesla Pick Up in der Regel ein gleich großes Fahrzeug ersetzt.)
Ist der Cybertruck im oben beschriebenen Sinne von Gewalt begleitet? Vergleicht man ihn mit den Mitbewerbern, dann ist er es erstaunlicherweise, trotz seiner brutalen Keilform, nicht. Er beansprucht nicht mehr Raum als der Marktführer, nutzt ihn aber deutlich effizienter. Er erscheint, wie schon geschrieben, im Vergleich eher zierlich, und vor allem verzichtet er vollständig auf leeres Imponierdekor, wie es sich immer heftiger in den Frontgestaltungen unserer Autos (aller Größen) findet. Er ist, wenn man so will, konzentriert zurückhaltend. Man nimmt das wahr, sobald man sich an die brutale Gesamtgestalt gewöhnt hat und man versteht dann auch zunehmend, dass diese Gestalt mindestens genau so stark funktional begründet ist wie sie eben auch semantisch wirksam ist.

An dieser Stelle fällt uns noch ein, dass diese Art der Formgebung auch als »Stealth Design« von Schiffen und Flugzeugen bekannt ist, und dort dient sie dazu, das Objekt unsichtbar zu machen, zumindest für das feindliche Radar. »Will« dieses Design etwas von mir? Drängt es mich mit Macht zu einer Reaktion? Oder »ist« es einfach? Das ist – für mich – eine noch offene Frage.
Versuchen wir einmal, uns in den Geist eines theoretischen Einzelschöpfers des Cybertruck zu versetzen. Seine Gedankengänge, die letztlich zu den Entscheidungen geführt haben, die den Cyberduck so aussehen lassen, wie er aussieht könnten wie folgt sein: 
»Die Zukunft ist unklar, aber sie ist wahrscheinlich bedrohlich. Ich will ein Werkzeug, das möglichst robust ist und mir einen gewissen Schutz bietet. Gleichzeitig will ich, mit dem Rest meiner Hoffnung, so wenig Ressourcen wie möglich in Anspruch nehmen. Ich möchte verantwortlich handeln, aber es ist mir nach vielen Enttäuschungen mittlerweile egal, was andere darüber denken. Ohnehin glaube ich nicht mehr daran, dass Einsicht und Vernunft ansteckend sind. Man hat einmal zu oft »Fuck You« zu mir und meinen Werten gesagt. Jetzt drehe ich den Spieß um: Es ist mir egal, was ihr erlebt, wenn ihr dieses Produkt seht. Wenn ihr euch bedroht fühlt – na und? Ihr selbst bedroht ja mich (und alle anderen Menschen) mit eurer Lebensweise tagtäglich. Ich habe meinen Egoismus wiedergefunden, aber er bezieht sich nur auf andere Menschen, nicht auf das Gesamtprojekt Menschheit. Wer die Anspielungen auf die dystopischen Filme und Bücher versteht, die mich geprägt haben, der versteht mich ohnehin. Ich will nur überleben, nicht dominieren. Gut möglich, dass es nicht so schlimm kommt. Dann ist das immer noch ein gutes, sinnvolles, robustes Produkt, das mir hilft, mich von dem ganzen Konsumscheiß zu emanzipieren – während es gleichzeitig Leute beeindruckt, die ich eh nicht mag.«
Vielleicht wird der Cybertruck eine stilistische Mode auslösen (nachdem die Autodesigner-Szene ihren Schock überwunden hat und aufhört, darüber zu wehklagen oder sich aufgesetzt lustig darüber zu machen). Das ist jedoch bedeutungslos. Wichtig ist, dass er allgemein für die Gestaltung von Fahrzeugen und im Besonderen für Teslas Rolle im Markt ein rigoroser, effektiver Befreiungsschlag ist. Die von Konventionen gequälte Branche müsste eigentlich aufatmen anstatt zu jammern: Man könnte jetzt plötzlich wieder alles machen – alles, was sinnvoll, geistreich, nachhaltig und zukunftsweisend ist. Leider wird das jedoch wahrscheinlich nicht geschehen.

Am Ende ist der alles entscheidende Punkt: Der Cybertruck ist keine Studie, kein Konzept. Er ist und wird ein Produkt, das erwerbbar und nutzbar ist, und das außerhalb der verschiedenen Szenen (Autodesigner, Elektrofahrer etc.) gesehen und rezipiert werden wird. Jeder wird ihn erkennen und bemerken und darüber nachdenken, warum er so ist, wie er ist. Das macht ihn, formal simpel, semantisch vielschichtig, zum wichtigsten Auto des Jahrzehnts. Und sollte sich erweisen, dass die finstersten aller Dystopien Wirklichkeit werden, dann wird er für seine Besitzer zum Überlebens-Mittel. Das letzte Auto. Danach kommt erst mal nichts mehr…

Samstag, 3. Januar 2015

Zwischenruf anlässlich des Audi Prologue Concept


Versuch einer qualifizierten Antwort zum Kommentar eines Lesers auf Audis Facebook-Seite, in dem von der mangelnden Emotionalität des Audi Design (namentlich im Vergleich zum dem von Mercedes) die Rede ist.

Wenn man F.R.'s Einwand inhaltlich ernst nimmt, findet man ein Problem, das heute alle Hersteller haben: Eine plakative Formensprache und die Verwendung vieler dekorativer Elemente dienen dazu, auf den ersten Blick Begeisterung auszulösen – und diese Begeisterung wird von vielen mit Emotionalität verwechselt. 

Eine Verbindung mit dem Fahrzeug und eine echte, nachhaltige Bindung an die Marke entstehen aber nicht im Showroom oder anhand von Fotos, sondern draußen auf der Straße. 
Es ist ein bisschen so, als ob man eine Frau, die für eine Party gestylt und geschmückt ist, ansieht – oder eine, die einem morgens am Frühstückstisch gegenüber sitzt. Die, die auch am Morgen danach noch gut aussieht und anziehend wirkt, ist die wirkliche Schönheit! 
Mercedes macht zur Zeit Party-Design: Plakativ, effektvoll, spektakulär, aber arm an Substanz. Das reicht oft nicht mal für eine Nacht. 

Audi hat immer schon, zuletzt besonders deutlich in der Zeitspanne zwischen Mitte der 1980er bis Anfang der Nuller-Jahre ein substanzielles, nachhaltiges Design gehabt. Man erkennt das daran, dass man die Modellreihen durch alle Jahre hindurch heute noch ansehen kann: Da ist kaum etwas peinlich oder seltsam, da sind immer noch gute Proportionen, schöne Details und eine edle Modellierung – egal, wie alt der Audi ist, den man gerade ansieht. Das war ein Design für's Leben, und das war nicht nur deswegen gut, weil es nachhaltig war, sondern weil der Kunde sich mit diesen Produkten ernst genommen fühlen konnte.

In letzter Zeit hat auch Audi den Bling-Bling Stil adaptiert. Das ist den neuen Märkten, vor allem in Asien, geschuldet – dort gibt es die Tradition der »guten Form« nicht, die wir in Deutschland dank Bauhaus und Ulmer Schule haben, und es gibt auch die Idee der »vornehmen Zurückhaltung« nicht in dem Maße, wie sie in Europa verwurzelt ist. 

Trotzdem ist auch bei vielen neuen Audi-Modellen der letzen Jahre noch Substanz zu erkennen, wobei die Entwicklung der Substanz unter der Hülle von effektvollen Details und oberflächlichem Spektakel deutlich stehen geblieben ist. Der neue Q7 ist in diesem Sinne ein Tiefpunkt: Eine dekorierte Kiste, weniger »Schönheit von innen« sollte Audi sich nicht mehr leisten. 

Der Prologue ist für mich der Versuch, wieder ein Gleichgewicht zwischen der Schminke und der substanziellen Schönheit herzustellen: Nimmt man die effektvollen Details weg und vereinfacht man die gestylten Flächen, dann hat man immer noch ein super aufregendes Auto. In diesem Sinne verstehe ich die Ankündigung, sich »wieder alter Tugenden zu besinnen«. Aber man sollte dabei nicht vergessen, dass Audi Design immer auch ein Treiber im Markt war und Dinge gewagt hat. Auch dieser Mut ist eine Tugend, und von dieser sehe ich am Prologue nicht allzu viel.

Dienstag, 26. August 2014

Den Weg finden und verlieren.

Audi 80 (B4), Prospektwerbung, Unternehmenskultur

Der Audi 80 (B3) wurde von Giugiaro einmal als »eine der wenigen Autopersönlichkeiten« seiner Zeit bezeichnet, und das gilt vielleicht noch mehr für den aus diesem Modell hervorgegangenen 80 Avant (B4), der von 1992 bis 1995 gebaut wurde. 
In seiner Robustheit, aber auch wegen der zwar im Detail leicht verschrobenen, aber insgesamt sehr zeitlosen Gestaltung ist dieser Wagen eine Art kleiner Nachfolger des legendären Mercedes W123 (bzw. S123).

Für dieses bodenständige und dabei so besondere Auto liegt uns einer der vielleicht ungewöhnlichsten Prospekte vor, die jemals für ein Massenfahrzeug entstanden sind. 
Im quadratischen Überformat 290 x 290 mm wird auf 24 Seiten mit langer Prosa und auf erstaunlich dunklen, unscharfen Fotos weniger ein Auto vorgestellt als vielmehr ein Lebensbegleiter. Das wird nicht einfach in plakativen Sätzen behauptet; sondern in Text und Bild soll der Leser davon überzeugt werden, dass das Produkt Audi 80 Avant eine solche Rolle zu spielen vermag.

Als Anregung für den Fotostil, aber auch für die unprätentiöse Argumentation könnte möglicherweise die beinahe ikonisch gewordene Anzeige von Saab aus den späten 80ern gedient haben, die ich weiter vorne schon erwähnt habe: In Gewitterstimmung fotografiert, prescht ein 900 über eine regennasse Autobahn, Headline: »Da draußen hilft Ihnen kein Statussymbol.« Das Foto ist dunkel, das Licht dramatisch, das Auto bewegungsunscharf, die Botschaft ist jedoch beruhigend. 



Die Bilder in unserem Audi-Prospekt beziehen ihre Wirkung nicht aus Bewegung, aber sie sind so dunkel und so stark gesättigt, wie es technisch gerade noch akzeptabel ist, große Flächen sind komplett schwarz, auf die Karosse fällt jeweils nur ein Streiflicht – es ist eine beinahe bedrohliche, jedenfalls aber nicht bequeme Stimmung, die so entsteht. Andererseits sehen wir hier Natur, und zwar offensichtlich intakte Natur. Der Audi 80 Avant wird also als verlässlicher Partner in einer Umgebung dargestellt, in der der Mensch nicht die Hauptrolle spielt. Das vermittelt Freiheit, die dadurch erlebbar wird, dass ein Vertrauen gebender technischer Gegenstand einen in diese – und durch diese – machtvolle Umgebung transportiert. 


Das Ganze ist übrigens nicht perfektionistisch fotografiert, manche Bilder sind sind vollständig unscharf und alle sind, wie erwähnt, zu dunkel, manche so sehr, dass nur die (neue) Kühlermaske und die Scheinwerfer des Audi überhaupt erkennbar sind. Hier wird nicht das Design des Autos in den Vordergrund gestellt, nicht seine perfekte Oberfläche, nicht die ausgefeilten Details. Worum es geht, das ist der Nutzen des Fahrzeuges, ein durchaus erweiterter Nutzen, der sich auch auf die emotionale Ebene erstreckt, indem dem Nutzer Sicherheit und Verlässlichkeit suggeriert werden. 

Dieses Konzept wird durch den Text aufgenommen und erweitert. 
Er ist als abstrahierter Dialog geschrieben, indem jeweils zunächst ein (unterstelltes) Bedürfnis des Lesers formuliert – und dann, im Sinne einer Antwort, die Absicht des Herstellers mit seinem Produkt dagegen gestellt wird. 
Sie wollen nicht lange überlegen. Wohin ist nicht so wichtig, wie ist entscheidend. Sie wollen Ihre Sachen packen, hinten in ihr Auto werfen und einfach losfahren.
Wir wollen, dass Sie auch sicher ankommen.
 (Alle Hervorhebungen durch den Autor.)
Durch diese ungewöhnlich lässige Art des Umgangs mit dem eigenen Produkt schafft Audi es, hier eine Art kumpelhafte Übereinkunft zwischen Adressant und Adressat herzustellen, die sich dann mühelos auf das Produkt übertragen lässt, das ja eben nicht umsonst als Autopersönlichkeit apostrophiert wird.
Sie wollen ein sportliches Auto. Aber Sie brauchen Platz.
Sie wollen ein schönes Auto. Wenn es praktisch ist.
Sie wollen ein sicheres Auto. Aber kein langweiliges. (…)
 
ist auf dem Umschlag zu lesen. Und nach dem Umblättern fällt der Blick auf die Worte:
Genau zu diesem Zeitpunkt steht einer da, der heißt Audi 80 Avant.
Im Mittelpunkt der Kommunikation steht der Kundenwille (jede Headline dreht sich um dieses "Sie wollen…") und nicht, wie es heute üblich ist, die Genialität und Professionalität des Herstellers, seiner Designer und Ingenieure. 

Dies ist tatsächlich eine Werbung, die sich auf die Befriedigung von Bedürfnissen bezieht, anstatt sich in der direkten Weckung von Begehren zu versuchen. Damit lässt sie dem Leser seine Würde und seine Unabhängigkeit, ja, mehr noch, er bekommt implizit das Versprechen, als eigenständige Persönlichkeit gefördert und gefordert zu sein, wenn er sich für dieses Auto entscheidet. 

Hier wird auf Glanz in vielen Sinnen des Wortes verzichtet und stattdessen versucht, Substanz zu beweisen und Sympathie zu wecken. Gerade letzteres würde man heute wohl eher als kontraproduktiv betrachten: Ein Auto soll nicht sympathisch wirken (außer es handelt sich um einen Kleinstwagen), es soll in gewissem Maße als gefährlich erlebt werden, eher gezähmte Bestie als treuer Begleiter. Denn nur so kann es der Selbsterhöhung und Selbstdarstellung seines Nutzers in einer von Aggression geprägten Umgebung dienen. 


Der Audi 80 und die dazu passende Kommunikation in diesem Prospekt sind nichts weniger als aggressiv. Die dahinter stehende Haltung ist aber auch nicht defensiv im Sinne des Cocooning, (wie das jetzt im Citroen Cactus so augenfällig Form geworden ist). Es ist ein dezidiert selbstbewusstes und dabei vollkommen in sich ruhendes Produkt, für das mit einer ebenso selbstbewussten, ebenso ruhigen, und dabei außergewöhnlich kraftvollen Kommunikation geworben wird. 

Auf diese Weise wird der Kunde für voll genommen. Das Produkt schiebt sich nicht vor ihn wie eine Maske oder Verkleidung, sondern es stellt sich hinter ihn, es bleibt in einer eindeutig dienenden Rolle, wie sie jedem technischen Gegenstand zukommt – auch wenn dieser mit einer »Persönlichkeit« ausgestattet ist. 

Man möchte sich wünschen, dass Produktmanager und Werber sich dieser Tugenden einmal wieder besinnen. Ein psychisch gesunder Kunde braucht keine Identitätskrücke. Er braucht ein Gerät, das tut, was er möchte. Weiter nichts. 


Der Prospekt endet mit den Worten: 
Sie wollen ein Auto, das Ihren Bedürfnissen von heute entspricht.
Und den Werten von morgen.
Sie haben Ihren Weg gefunden.
Nun, genau das ist die Frage…



Bemerkung zum Copyright: Alle Rechte an den abgebildeten Prospektseiten liegen bei der Audi AG. Sie werden hier für akademische und erzieherische Zwecke ohne die Absicht einer Gewinnerzielung reproduziert. Sollten Einwände gegen die Veröffentlichung an diesem Orte bestehen, bitten wir um Kontaktaufnahme. Die Dateien können auf Wunsch sofort entfernt werden.



Freitag, 14. März 2014

Hope in hopeless days

Zukunftsweisende Fahrzeugkonzepte?

Wir wollen nicht übertreiben. Sollte man unsere Tage als hoffnungslos bezeichnen können, dann sicher aus anderen Gründe als solchen, die mit Autos und Design zu tun haben.

Trotzdem: Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, an einer Entwicklung Anteil zu haben, von der eigentlich alle wissen, dass sie so nicht weitergehen kann. Wenn über 7 Milliarden Menschen Auto fahren wollten, wäre das ein Katastrophe. Wir wissen das, tun in den reichen Ländern aber so, als gingen Ausbreitung und Wachstum immer so weiter. Die Ressourcen, die benötigt werden, um ein einziges unserer Autos zu bauen und zu betreiben würden anderswo auf diesem Planeten wahrscheinlich genügen, um einer ganzen Familie die Lebensgrundlagen für mehrere Jahre zu sichern. Einen Rest von Freude am Automobil kann man sich als denkender Mensch eigentlich nur erhalten, wenn man das ignoriert. Oder wenn man sich selbst, die Gesellschaft und das Auto-Business als im Umbruch befindlich versteht.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wo zur Zeit revolutionäre Entwicklungen zu sehen sind, ob sich irgendwo findet, was man heute als Game Changer bezeichnet. Der automobile Mainstream hat sich, nach einer kurzen Phase des Aufbruchs um die IAA 2011 herum, wieder vollständig auf das Konzept des »mehr desselben« zurückgezogen. Digitale Displays und elektronische Assistenzsysteme schaffen ein Gefühl von Fortschritt; was die Grundfunktion des effizienten Fahrens betrifft, tritt die Branche in erschreckender Weise auf der Stelle. Und das manifestiert sich interessanterweise in einem immer gleichförmiger werdenden, immer inhaltsärmeren Design, das nur noch eine Aussage kennt: Dynamik. Aber Dynamik ohne Substanz ist ungefähr das gleiche wie »Vollgas Leerlauf«. Und Substanz entsteht aus anderen als rein wirtschaftlichen Motiven und kann nicht am Computer simuliert werden.

Game Changer sind nicht die mit geringstmöglichem Aufwand hingestellten Hybridmodelle – der VW-Konzern verkauft dasselbe Fahrzeug als Golf GTE und Audi A3 e-tron und bewirbt beide damit, dass sich für den Nutzer nichts ändert.

Game Changer sind auch nicht immer wieder neu als revolutionär angepriesenen Varianten ein und desselben Designkonzeptes, seien sie hoch oder flach, klein oder groß.
Doch welche Fahrzeuge ändern das Spiel und die Regeln?

Der i3, BMWs Elektro-Pionier
Ohne Frage einer der markantesten Kandidaten ist der BMW i3: Ein Fahrzeug, das »from the scratch« neu entwickelt wurde, mit neuem Antrieb (rein elektrisch) und neuer Karosserietechnik (kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff). Man muss über die Motive und Hintergründe nicht allzu viel nachdenken: Der i3 ist da, und er scheint tatsächlich den X1 und ähnliche als Zweitfahrzeug für Wohlhabende teilweise abzulösen. Das ist gut. Aber ist es auch relevant? Ist der i3 mehr als ein teures Symbol? Kann er das Spiel als ganzes verändern? Ich bezweifle es, denn die Art und Weise, wie der i3 konstruiert ist und wie er hergestellt wird limitiert seine Marktpräsenz doch ganz erheblich. Dazu kommt der hohe Preis, die halbherzige Versorgung mit Lademöglichkeiten und das, vorsichtig gesagt, »originelle« Design. Gerade die Gestaltung des i3 macht ihn als Symbol sichtbar, und das ist offenbar auch die Absicht. Es gibt hier ein paar bewusste Regelbrüche, die nicht anders als provozierend verstanden werden können. Aber dieser plakative Auftritt kann nicht verbergen, dass der »Spirit« sich nicht wirklich gewandelt hat. Es geht immer noch um's Herzeigen, um demonstrative Distinktion (was, wie ich hier schon angedeutet habe, ein Widerspruch in sich ist) um »das bessere Auto für den besseren Menschen«. Der i3 ist weder besonders bescheiden noch ausgesprochen funktional. Beides würde ihm aber helfen, die Behauptung vom nachhaltigen Fahren zu verwirklichen. Eine unlackierte Dekorblende aus einem schnell nachwachsenden Holz – das ist eben noch keine nachhaltige Produktion. Der kleine Elektro-BMW ist kein Beispiel, kein Prototyp für eine neue Generation von Fahrzeugen, sondern ein solitäres Symbol, dessen Sichtbarkeit bei der Entwicklung offenbar viel wichtiger war als seine eigentliche Funktion: Menschen ressourcenschonend und unter Nutzung erneuerbarer Energie von A nach B zu bringen.

Ähnliches lässt sich übrigens über den Renault Zoe sagen, der noch viel konservativer ist, und zusätzlich mit einer von vielen als »kosmetisch feminin« empfundenen Weichheit und Pastelligkeit versehen wurde. Hier wurde bestimmte Vorurteile gegenüber E-Mobilität in Form gebracht, was nicht gerade hilft, dieser ein besseres Standing in der allgemeinen Wahrnehmung zu geben.

Wo ist nun die Hoffnung? In Genf waren zwei relativ klassische Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb zu sehen, die dennoch Aufmerksamkeit verdienen, weil sie in Sachen Design wenigstens ein wenig vom aktuellen Konsens abweichen.

Das eine ist der Citroën Cactus, keine Studie, sondern ein Serienauto mit vielen liebevollen Details und einer sehr speziellen Ausstrahlung. Es handelt sich hier nicht um eine Waffe oder ein Sportgerät (was in der allgemeinen, unbewussten Wahrnehmung gar nichts so verschiedenes ist), es handelt sich um einen Lebensraum auf Rädern, auf Neudeutsch bzw. Neu-Französisch »Lounge Concept« genannt. Damit macht der Cactus ein Erlebnis bezahlbar, das es bisher eigentlich nur in der Luxusklasse gab, nämlich das, ein Zimmer zu haben, in dem man sich gerne aufhält – und das sich, beinahe nebenbei, durch die Geografie bewegt. Die »Airbumps« genannte Rundumpolsterung außen verrät, dass es sich um eine Auto gewordene Umsetzung der Idee vom Cocooning handelt. Der Rückzug in einen persönlichen Schutzraum angesichts einer als bedrohlich empfundenen Umwelt ist hier so konsequent illustriert wie bei keinem anderen Auto, und der Name erklärt den Prozess des »Einigelns« noch mal zusätzlich. Das ändert zwar noch nichts an der Gesamtsituation, in der die erlebte Bedrohung von anderen Verkehrsteilnehmern (also Menschen wie du und ich) ausgeht, aber es bringt zumindest eine neue Farbe ins Spiel: Man muss Aggression nicht mit Gegenagression beantworten, man kann sich auch aus dem Kampf zurückziehen. Das ist, jedenfalls in dieser Klasse, ziemlich neu und also bemerkenswert.


Ein ganz anderes Ding ist der Volvo Concept Estate, die dritte in einer Reihe von ähnlichen Studien, die der schwedische Hersteller mit chinesischem Geld in den letzen Monaten verwirklicht hat. Normalerweise gehen alle Versuche schief, Authentizität am Reißbrett (bzw. am Computer) zu erschaffen. Aber die Concept Cars, die Thomas Ingenlath seit Übernahme der Designverantwortung bei Volvo präsentiert, sind tatsächlich kontrolliert authentisch, und zwar in einem fast atemberaubenden Maß. Obwohl formal und konzeptionell sehr nahe am Mainstream aktuellen Autoschaffens, haben die Volvo-Studien nicht nur erstaunlich viel Charakter, sie bringen auch eine neue Stimme in den Chor des »dynamischer, aggressiver, emotionaler«, das irgendwer als Partitur für Autodesigner ausgegeben zu haben scheint. Insbesondere das Coupé ruht, bei aller Kraftmeierei, in einer Weise in sich, die es vielleicht in den sechziger Jahren bei den Werken der unabhängigen Karosseriekünstler zum letzen Mal gegeben hat. Soviel Selbstbewusstsein, ja, ein solches Maß an feiner Arroganz strahlt kein anderes aktuelles Design aus. Auch so kann man dem täglichen Hahnenkampf auf der Straße entgehen: Indem man sich nur noch um sich selber kümmert. Das geht dann nach innen mit einer unglaublichen Detailliebe weiter, mit einem Interior, das zwar klar und geradlinig ist, aber reich und wertvoll gestaltet wurde. Jedes Teil hat hier eine Herkunft, teilweise wird das durch Labels zusätzlich sichtbar gemacht, aber vor allem ist es spürbar, als Charakter, als Atmosphäre, als Wohlgefühl. Wenn Volvo diese Art des Gestaltens in die Serie hinüber bringt, dann wird das ein sehr interessanter Impuls für die »Premium«-Klasse. Kein deutscher Hersteller kann ähnliches. Probleme werden auf diese Weise zwar keine gelöst, zumindest aber wird der Stumpfsinn des »immer mehr von immer dem gleichen« etwas gemildert.

Game Changer? Nicht wirklich. Aber ein erster Schritt Richtung Paradigmenwechsel.

Wenn es einen echten Game Changer gibt, dann ist es der Tesla S. Hier verbindet sich ein wunderbar durchgearbeitetes superklassisches Design in der Tradition von Aston Martin mit vollkommen einmaliger Technik und – was viel mehr ist – mit einem Gesamtkonzept für die Zukunftsentwicklung des Autos in den reichen Industrieländern. Tesla hat einen Plan, der, in kurzen Worten, darin besteht, mittelfristig eine elektrische Massenmotorisierung zu ermöglichen, damit den Individualverkehr in der Breite auf die Basis erneuerbarer Energien zu stellen (nur darum geht es den Befürworten und Vorkämpfern der E-Mobilität!) und das Ganze mit substanziell nachhaltigen Produkten zu schaffen.

Ein Tesla S am Supercharger
Deswegen ist das Produkt Tesla S, so begehrenswert es machen erscheinen mag, auch wieder nur ein Mittel zum Zweck. Anders als der i3 besteht dieser Zweck aber nicht im Aufstellen und Ausstellen von Behauptungen, deren Beweis man gerne noch lange abwartet, sondern im Schaffen von Tatsachen. Das Supercharger-Netzwerk z.B., das gerade in Europa errichtet wird und bis 2015 flächendeckend eine Dichte von ca. 200 km haben soll, ist eine solche Tatsache. Sollten die Amerikaner dann 2016 ein Fahrzeug in der Größe und zu dem Preis eines i3 auf den Markt bringen, dann werden Tesla-Kunden viel mehr bekommen als ein spektakuläres Pionier-Produkt. Sie werden Anteil an einem funktionierenden Gesamtsystem erhalten, das sie von fossilen Brennstoffen unabhängig macht. Hat das Relevanz? Ich bin davon überzeugt. Wenn Elon Musk nicht eines Tages durch ein mieses Foul aus dem Spiel gekickt wird, dann wird sein Unternehmen Tesla sehr tiefgreifende Veränderungen bewirken. Eines hat er schon mal erreicht: nachdem durch den Tesla S bewiesen wurde, dass große Touchscreens im Auto funktionieren (und langsam alle begreifen, dass man durch das Weglassen von Tasten und Knöpfen Geld sparen kann) findet man solche Touchscreens in Studien aller Hersteller.
Auch der oben genannte Volvo folgt diesem Trend. Wichtiger wären andere Dinge.

Freitag, 6. Dezember 2013

Möbel im Automobil – Die Mittelkonsole (Teil 2)

Interior Design

Mit der im Sommer 2013 neu erschienenen S-Klasse (W222) hat Mercedes wieder einmal den Anspruch formuliert, das beste – und fortschrittlichste – Auto der Welt zu bauen. Das manifestiert sich gestalterisch weniger im Exterior, wo gegenüber dem Vorgänger der Rückzug hin zu einem vorsichtigen und uncharakteristischen Design gemacht wurde, dafür aber umso deutlicher im Interior. Hier gibt es die größte Displayfläche, die jemals in einem Großerienfahrzeug verbaut wurde. Über beinahe 2/3 der Fahrzeugbreite reicht sie, auf ihr ist von der virtuellen Darstellung klassischer Rundinstrumente bis zur futuristisch gestylten 3D-Darstellung der Schalttafel selbst – und ihrer Klimatisierungselemente – alles möglich. 

Mercedes S-Klasse, 2013
Die durch die Verwendung rechteckiger Displays recht klotzige Anzeigefläche soll durch eine Hinterleuchtung scheinbar ins Schweben versetzt werden und sitzt in einer übergroßen, auf der Oberseite schnurgeraden Hutze. So vergleichsweise unbeholfen das gestaltet ist, so elegant und geschmeidig geht es unterhalb und neben dieser Anzeigekiste weiter: Den Mercedes-Designern ist hier der wahrscheinlich beeindruckendste Wrap-Around Look gelungen, den es seit der Erfindung dieses Gestaltungsmittels gibt. Die Konturlinien reichen von der Schalttafel bis weit in die Türen hinein und ergeben tatsächlich den Eindruck, vom Fahrzeug umfasst und beschirmt zu werden. Große, leicht vom Betrachter weg geneigte Flächen verstärken den Effekt. 
Audi A8, 2009
Trotz einer kraftvollen Ausformung der Schalttafel zwischen den beiden Vordersitzen entsteht nicht das Gefühl einer Teilung, Fahrer und Beifahrer sind nicht eingeschlossen. Und das liegt daran, dass zwischen der Tunnelkonsole und der Schalttafel eine klare Trennung vorhanden ist, die bei Dunkelheit durch eine durchgehende Leuchtleiste noch betont wird. Damit nimmt Mercedes die 2009 beim Audi A8 eingeführte Architektur auf und überträgt sie in einen etwas weicheren, üppigeren Look.

Ebenso konsequent, aber vielleicht noch auffälliger hat sich Audi übrigens beim A3 von 2012 von der klassischen Mittelkonsole verabschiedet. Für das Klimabedienteil gibt es nur noch eine reduzierte Ausformung an der Schalttafel, die durchgehende Horizontale wird durch Fugen und Leisten betont. Der Raum vor dem Schaltknüppel ist vollständig frei von Bedienelementen. 

Bedeutet das nun, dass die Mittelkonsole langsam wieder aus unseren Autos verschwindet? 

Sicher nicht. Im Schwestermodell des A3, dem Golf 7, wird die Mittelkonsole radikal betont, mit dem Instrumententräger zusammengefasst und in klassischer BMW-Manier dem Fahrer zugeneigt.  

Auch die anderen Konzernmarken bleiben der Mittelkonsole treu, Franzosen und Italiener machen sie nach wie vor gestalterisch zum Zentrum des Fahrzeuginnenraumes. Toyota hat beim Auris versucht, die Tunnelkonsole noch höher zu bringen und direkt in die Schalttafel hineinlaufen zu lassen. Das führte dazu, dass unterhalb der Konsole ein Hohlraum entstand, der mit einem Ablagefach teilweise gefüllt wurde. Die Lösung wurde in Europa nicht akzeptiert und beim neuen Modell durch eine dezidiert klassische Anordnung ersetzt. 

Opel hat für die vielen Schalter auf den Mittelkonsolen der Modelle Astra und Insignia viel Schelte einstecken müssen. Man könnte meinen, das ganze Interior sei sozusagen von der Mitte aus gestaltet, eine richtige Schaltzentrale wurde da etabliert. (Mittlerweile gibt es ein offenbar sehr gutes neues Bedienkonzept mit einem Touchscreen). 

Opel Astra, 2010
Aber die Opel-Konsole hatte vor der Modellpflege noch ein anderes Problem, das auch durch die strikte Symmetrie verursacht wurde: Sie hatte ein Gesicht. Und was an der Front eines Fahrzeuges Sinn – oder zumindest Spaß – macht, ist an dieser Stelle eher unerwünscht. Zumal der Ausdruck dieses Gesichtes nicht eben erfreulich ist: Die Dekormaske auf der Mittelkonsole des Astra erinnert fatalerweise an die Geistermaske aus dem Horrorfilm »Scream«.


Bentley Continental GT, 2013
Auch in der Oberklasse gibt es übrigens immer noch imposante und interessante Mittelkonsolen-Lösungen. Herausragend ist die Behandlung des Themas im Bentley GT, bemerkenswert die architektonische Auffassung im Range Rover, wo durch eine wohl überlegte Grafik ein spannender Durchdringungseffekt entsteht. 



Aston Martin One-77, 2013
Ähnlich geometrisch und sophisticated ist die Schalttafel des Jaguar XF, was umso mehr überrascht, als dass man von Jaguar eher geschwungene Linien und eine dramatische Plastizität erwarten würde. 

Und abschließen lässt sich das Kapitel vielleicht am besten mit dem Aston Martin One-77: Hier wurde ein Designertraum verwirklicht, nämlich der bruchlose Übergang der Oberseite der Schalttafel in die Tunnelkonsole. Und schlecht sieht das ja nun wirklich nicht aus.

Doch wir sind mit dem Kapitel eben doch noch nicht fertig. Denn die allmählich aufkommende E-Mobilität führt – wo die Fahrzeuge speziell für diese Antriebsform entwickelt werden – zu neuen und ungewohnten Lösungen. Das hat vor allem mit dem Fehlen des Mitteltunnels zu tun. 

Tesla S, 2013
Beim Tesla S ist aus der Tunnelkonsole ein Ablagefach geworden, das praktisch auf dem Boden des Fahrzeuges steht. Darüber schwebt, physisch und optisch nur mit der Schalttafel verbunden, ein 17" großer Touchscreen, auf dem alle Bedienelemente nur noch grafisch dargestellt werden – vom Navi über die Fahrzeugkonfiguration bis zur Klimabedienung. 



BMWi3, 2013
Die radikalste Lösung hat aber BMWi beim i3 gewählt. Die Konsole ist beinahe spurlos verschwunden, nur im Fußraum trennt noch eine schwarze Box an der Spritzwand den Fußraum des Fahrers von dem des Beifahrers. Darüber hängt eine abstrakte Skulptur, die mit einer deutlichen Betonung der Horizontalen gestaltet wurde,  zwei Displays scheinen eher darüber zu schweben, als dass sie damit verbunden wären. Hier öffnet sich die Tür zu einer neuen Gestaltungsfreiheit, und vielleicht zeigt Audis A2 Studie von 2011 am besten, wieviel Luft und Freiraum ins Interior gebracht werden können, wenn man das alte Möbel rausschmeisst. 

Audi A2 Concept, 2011

Hier gibt es sogar eine recht elegante Lösung für des Fahrers Gasfuß…









(Alle Abbildungen: Pressefotos der jeweiligen Hersteller.)

Mittwoch, 22. Mai 2013

Möbel im Automobil – Die Mittelkonsole (Teil 1)

Interior Design

Tucker Torpedo, 1949
Wann begann das eigentlich? 50 Jahre lang war der Innenraum eines Autos ein ungeteilter Kubus, zwischen Fahrer und Beifahrer  gab es keine Trennung und nicht selten saßen die beiden sogar auf einer gemeinsamen Bank, vor sich etwas, das dem Namen Armaturenbrett oft sehr zurecht trug. Dieses Brett konnte durchaus eine sichtbare, betonte, manchmal sogar nach unten leicht ausgeformte Mitte haben. Hier saß der Tachometer, oder es gab, bei ganz fortschrittlichen Modellen, ein Radio an dieser Stelle. Doch niemand wäre auf die Idee gekommen, an dieses Armaturenbrett eine Art Kleinmöbel anzuhängen, das bis in den Fußraum oder gar zwischen die Vordersitze reichte.

Wenn man recherchiert, wo es eigentlich zum ersten Mal so etwas wie eine Mittelkonsole zwischen den beiden Vordersitzen eines Fahrzeuges gab, dann landet man im Jahr 1919. Der Flugzeugbauer Junkers aus Dessau zeigte da das erste Ganzmetall-Passagierflugzeug, die F 13. Die für dieses Modell charakteristische – und konstruktiv bedingte –  Zweiteilung des Führerstandes, die sich außen in zwei großen, ovalen »Augen« zeigte, setzte sich im inneren durch eine spitz-dreieckige Ausformung des Aluminium-Spantes fort, die den Fußraum zwischen Pilot und Copilot (die damals noch Flugzeugführer hießen) teilte.

Junkers F13, 1919
Auf der Fläche waren Uhren und Hebel angebracht – eine echte Mittelkonsole also. Die F13 hatte noch ganze 4 Passagierplätze, aber es gab schon damals größere Passagierflugzeuge und in den 20er und 30er Jahren kam der regelmäßige kommerzielle Flugverkehr mit Passagieren zu einer ersten Blüte. Je größer die Flugzeuge wurden, desto massiver wurde dann auch die Mittelkonsole, die bald schon den Raum zwischen Pilot und Copilot weitgehend ausfüllte.

Dass, trotz der Flugbegeisterung dieser Zeit, nichts ähnliches ins Auto übernommen wurde, das hat wohl auch mit der Konstruktionsweise der damaligen Fahrzeuge zu tun. Denn die allermeisten PKW hatten bis Anfang der 1950er Jahre ein Fahrgestell, auf das eine Karosserie oben darauf gesetzt wurde. Die Folge war eine hohe, und wegen des damals üblichen Aufbaus mit freistehenden Kotflügeln und Trittbrettern relativ schmale Kabine, die allerdings einen ebenen Boden hatte, da Getriebe und Kardanwelle unterhalb, also im Fahrgestell, Platz fanden. Tatsächlich findet sich beim Lancia Lambda von 1922, dem ersten Serienauto mit selbsttragender Karosserie, auch der erste Mitteltunnel, hier noch eine sehr schlanke Röhre, die kaum eine Trennung zwischen linker und rechter Seite im Innenraum bewirkt.

Erst ab Mitte der 1950er Jahre, selbsttragende Karosserien mit mehr oder weniger integrierten Kotflügeln waren mittlerweile Standard, wanderte der Antriebsstrang immer weiter nach oben in den Innenraum, und zwar besonders bei sportlichen, flachen Autos. Roadster und Coupés von Jaguar z.B. hatten so wuchtige Mitteltunnel, dass sich fast eine Drittelung der Fahrzeugbreite im Interior ergab, Fahrer und Passagier der Zweisitzer saßen weit auseinander, der Schwerpunkt war nicht mehr über, sondern neben der Kardanwelle, welche die Kraft des Motors zu den angetriebenen Hinterrädern leitete, und zwischen den Beinen der beiden Insaßen ragte das Getriebe weit in den Innenraum.

Mercedes Benz 300 SL, 1957
Trotzdem wurde auch hier immer noch ein gerades Armaturenbrett quer über die ganze Fahrzeugbreite gezogen, in dem Anzeigen und Schalter untergebracht waren. Auf dem Mitteltunnel gab es bestenfalls eine Tasche oder ein Netz, aber von der ergonomisch buchstäblich nahe liegenden Lösung, hier neben dem Schaltknüppel Uhren oder Schalter zu positionieren machte noch niemand Gebrauch.

Der Mercedes SL von 1954, der berühmte »Flügeltürer« (siehe auch hier.) stellt mit seinem Gitterrohrrahmen einen Sonderfall einer selbsttragenden Karosserie dar. Die Konstruktion war eigentlich für den Motorsport entwickelt worden, hier spielten die damaligen Vorstellungen von Komfort kaum eine Rolle. Die Insaßen finden ihren Platz in diesem Auto zwischen dicken, hohen Schwellern außen und einem massiven Mitteltunnel in der Mitte.

Mercedes Benz 300 SL Rallye, 1957
Und hier, bei einer Rennausführung des SL von 1957 habe ich dann auch die Abbildung einer Mittelkonsole gefunden, die diese Bezeichnung wirklich verdient. Es könnte gut sein, dass bereits früher bei den Rennversionen des SL Instrumente und Anzeigen auf einer Zusatzkonsole auf dem Mitteltunnel platziert worden waren.

Mitte der 50er Jahre, zu Beginn der Blütezeit des Amerikanischen Dreamcar Stylings, waren dann die ersten bewusst und aufwändig gestalteten Mittelkonsolen zu sehen. Es waren die dezidiert sportlichen Fahrzeuge, die ihre Insaßen auf diese augenfällige Weise mit Technik umschließen sollten. Der saucoole Buick Wildcat von 1954 zeigt eine ge-streamline-te Verbindungssäule zwischen Mitteltunnel und Schalttafel, an der links und rechts zwei Rundinstrumente in düsenförmig gestalteten Gehäusen hängen, aus der Mitte ragt ein verchromter Handbremsgriff.

Buick Centurion, 1956
Beim Buick Centurion von 1956 schießt ein skulptural gestaltetes, hochglänzendes Gebilde von vorne in den Innenraum, ein Zylinder, der an seinem Ende einen Wählknopf trägt, ragt bis weit zwischen Fahrer und Beifahrer, und von diesem Zylinder aus schwingt sich ein flügelartiges Element vor den Fahrer, an dessen Ende das Lenkrad geführt wird. (Darüber gibt es einen kleinen Flachbildschirm!). Doch dies waren Concept Cars. 1958 wurde von Chevrolet die erste Corvette vorgestellt, und sie besaß, passend zur symmetrischen Gestaltung, eine Konsole mit Uhr, Radio und Bedienknöpfen unterhalb der weit geschwungenen Schalttafel – als Serienauto. Damit ist für sportliche, kleine Fahrzeuge eine Ansage gemacht, ein Typus geschaffen.

Für Limousinen kommt die Mittelkonsole in den USA aber nicht in Frage. Man empfindet das Ding wohl als zu platzraubend, und außerdem läuft es dem in den 60er Jahren geradezu eskalierenden Trend zur Betonung der Horizontalen entgegen. Zum Cinemascope-Look mit seinen endlos breiten, quer ausgespannten Strukturen und seinen Breitbandtachos passt eine mittige Teilung des Interiors eben gar nicht. (Eine Ausnahme macht wieder ein Buick, der Riviera von 1964. Was mag das für ein Designteam gewesen sein, das bei Buick zu dieser Zeit gewirkt hat?)

In Europa gibt Jaguar dem E-Type von 1961 eine Zentralkonsole, die hier allerdings ausschließlich Radio und Lautsprecher aufnimmt. Sie ist weit weniger elegant integriert als die Konsolen der Amerikanischen Sportwagen und viel weniger provokant ausdesigt. Der BMW 3200CS, gestaltet ebenfalls 1961 von Bertone, verfügt schon über ein großes Fach unterhalb der Armaturen.

Maserati Sebring II Vignale, 1965
1965 bekommt der Maserati Sebring II ein Interior mit einer breit ausgeformten Mittelkonsole, die bereits die klassische Anordnung von Luftausströmern oben, Schaltern und Bedienelementen darunter und einem integrierten Radio zeigt. Das sieht für unsere Augen völlig normal aus. Zu seiner Zeit war es ziemlich einmalig – und richtungweisend.

BMW ist wohl die erste Europäische Marke, die die Mittelkonsole in die Großserie bringt und auch bei – wenn auch ausgesprochen sportlichen – Limousinen einsetzt. Noch ist sie nicht zum Fahrer geneigt, wie das später, Ende der 80er Jahre so typisch für die Autos aus München werden sollte.

BMW E12, 1972
Aber die E12 Serie, die 1972 den Stil und den Ruf des Hauses (wie wir ihn noch heute kennen) begründete, hatte eine geradezu riesige, pilzförmig in den Innenraum ragende Konsole zwischen Fahrer und Beifahrer. Hier findet sich vielleicht zum ersten Mal in einem Großserienauto, das Gefühl des Umschlossenseins, des In-die-Technik-eingebettet-Seins. BMW argumentierte mit Ergonomie, wenn es um diese Gestaltung ging. Es scheint mir aber doch wahrscheinlich, dass gestaltpsychologische Faktoren eine – vielleicht zunächst unbewusste – Rolle bei der Entscheidung für diese Interior-Struktur gespielt haben. Solche Konsolen gab es zuerst und lange Zeit nur in »sportlichen« Autos. Hier war nicht das »Raum finden« gefragt, sondern das »gehalten werden«.

Natürlich übernahm auch die damals noch dominierende deutsche Premiummarke, Mercedes, die Konsole, und zwar ebenfalls 1972 bei der S-Klasse. Hier ist sie aber im Vergleich zum Gesamtvolumen der Schalttafel relativ schmal, und anders als beim BMW bleibt sie flach und eben hinter der imaginären Grenze, die durch die Schalttafel definiert wird. Das ist eher ein Einbaumöbel, ein Eindruck, der durch den großzügigen Gebrauch von Holzfurnier noch verstärkt wird.

In den folgenden Jahren breitete sich das Element immer weiter aus, bis in den 80er Jahren nicht mehr nur Spitzenprodukte und nicht mehr nur Fahrzeuge mit sportlichem Leistungsanspruch über die Konsole verfügten, sondern eigentlich beinahe alle Modelle, gleich welcher Klasse und Herkunft. Neben den zum Fahrer hingeneigten, als Schaltzentrale ausgestalteten Konsolen bei BMW verdient vielleicht noch die Konsole im Citroën GS von 1971 eine besondere Erwähnung. Sie ist von Anfang an serienmäßig dabei, was in dieser Klasse zu dieser Zeit noch nicht selbstverständlich ist. Jedoch ist sie so schmal, dass das Radio, um zwei Achsen um 90° gedreht zwischen den Sitzen Platz findet, die Bedienknöpfe nach oben reckend, die Skalen unablesbar.

Alfa Romeo 164, 1987 
Bei der Modellpflege des CX schließlich, 1985, wurde das vorher dort verbaute seltsame Möbel (mit aufgesetztem Fach für das Radio und darauf thronendem kugelförmigem Aschenbecher) durch eine Lösung ersetzt, die die Oberseite der Schalttafel mit der Mittelkonsole zu einer Fläche vereinte – sehr großzügig, sehr cool und sehr futuristisch.

Und Alfa Romeo stellte 1987 in seinem Spitzenmodell 164 einen abstrakten, architektonisch strukturierten Turm in anthrazit zwischen die Insaßen, der eine zunächst kaum überschaubare Anzahl von Tasten und in Zeilen darüber angeordneten LEDs und LCD-Anzeigen trug.

Mit diesen und ähnlichen Lösungen hat die Mittelkonsole vielleicht ihren evolutionären Höhepunkt erreicht. Bis heute bleibt die Trennung von Fahrer und Beifahrer durch ein konsolenartiges Element mit Knöpfen und Anzeigen beinahe obligatorisch. Aber schon Ende der 90er deutet sich an, dass das wuchtige Möbel nicht mehr jedem gefällt. Dazu mehr in einem zweiten Teil.

Zum Schluss noch eine nur halb scherzhafte Überlegung zur wahrnehmungspsychologischen Rolle der Mittelkonsole, gewürzt mit einer kräftigen Dosis Dr. Freud:

»Es gibt so etwas wie eine Erotik des Umschlossenseins, also vielleicht einen regressiven Wunsch vollkommen eingebettet und umfasst zu werden. Er steht im Gegensatz (nicht im Widerspruch) zum latent narzisstisch-homoerotischen Wunsch des Motorradfahrers, die virile Kraft des Motors zwischen die Beine zu klemmen und so zu beherrschen. (Das Motorrad ist dann der vergötzte, technische Phallus, das Auto der Uterus. ) Diesem Wunsch nach Umfasstwerden wird durch die immer größer werdenden, mit immer mehr Komfortfeatures vollgeladenen Mittelkonsolen der 80er und 90er Jahre entsprochen – bis für den Menschen nur noch ein minimaler, von allen Seiten Halt gebender und vollständig kontrollierter (Klang, Klima, Atmosphäre) Raum übrig bleibt.«

Oder so ähnlich…

Montag, 18. Februar 2013

FIAT und die "Angry Faces"

Fiat, Werbung

Diese Anzeige von FIAT macht zur Zeit ihre Runde durch die Blogs. Der Ansatz ist natürlich goldrichtig, das Konzept lobenswert und "Drive friendly" ein schöner Claim.

Ob allerdings tatsächlich der FIAT 500 das freundliche Gesicht hat (oder doch eher der Mazda links unten), das liegt im Auge des Betrachters – und hängt wohl auch ein bisschen von dessen Tagesform ab.

(Ich erwähne an dieser Stelle gerne, dass Audi – oben in der Mitte – sein Gesicht als "confident" bezeichnet. Es ist der Blick dessen, der schon gesiegt hat, nicht das desjenigen, der erst noch kämpfen muss. So zumindest die Ansage von Audi Design. Aber auch hier gibt es wohl unterschiedliche Lesarten.)

Sieht der 500 jetzt freundlich aus, oder einfach nur ein bisschen doof? So einfach ist das gar nicht mit dem anthropomorphen Design…




Dienstag, 4. Dezember 2012

Eine Geschichte rückwärts erzählen…

H. C. Berann: 31. März 1915 – 4. Dezember 1999

Der Grafiker und Maler Heinrich Caesar Berann starb am 4. Dezember 1999, berühmt unter Insidern, weitgehend unbekannt unter den Vielen, die seine Werke regelmäßig sahen und nutzten.

Jeder, der Ski fährt oder aus anderen (touristischen) Gründen mit Bergen zu tun hat, kennt seine Panoramen: Berann hat eine zugleich sachlich-informative und atmosphärische Darstellung von Berglandschaften begründet und kultiviert, die für unsere Vorstellung der Alpen prägend ist – zumindest, falls wir diese Prägung noch im 20. Jhdt. erhalten haben. Als brillanter Techniker hat er seinen Panoramen eine Tiefe und Weite gegeben, die sich dem Betrachter als eine Art Klang mitteilt – als tiefer und kräftiger Ton, der alles zu durchschwingen und zu tragen scheint. Seine typischen Wolken geben den eigentlich statischen Darstellungen ein Element der Spannung und Bewegung. Beranns Panoramen sind meisterhaft, wahrnehmungsprägend und gehen in Stil und Stimmung weit über das hinaus, was man von bloßer Gebrauchsgrafik erwarten kann.

Doch Berann hatte noch eine andere Seite: Er malte intensive Fantasiebilder mit mythischen Themen und oft düsterer Atmosphäre. Auf den ersten Blick sieht das manchmal aus wie der sexy Fantasykitsch eines Frank Frazetta, der Hildebrandt-Brüder oder von Boris Vallejo. Wenn es an diesen Werken Beranns etwas besonderes, faszinierendes gibt, etwas das über die minutiöse Darstellung archaischer Fantasiewelten hinaus geht, dann ist es die große Nähe zur Abstraktion. Beranns Bilder sind manchmal so atmosphärisch, dass sich das Motiv in geradezu Turner'scher Weise auflöst. Er nutzt seine herausragenden technischen Fähigkeiten weniger, um einer Niete auf einer Rüstung noch mehr Glanz zu geben. Wichtiger ist ihm offenbar, dass eine Stimmung, eine (auch emotionale) Wetterlage kraftvoll rüberkommt. Und durch all dem mystischen Nebel, durch all die Dämmerung schimmert zuweilen etwas von einem feinen Humor durch, dem wir gleich noch einmal wiederbegegnen werden.

Zur Panoramenmalerei ist Berann offensichtlich gekommen, weil er als Werbegrafiker in den 50er Jahren einiges an Illustrationen für die Tourismuswerbung gemacht hat. Es gibt da eine Menge Faltblätter, die für kleine und große Orte in den Alpen werben, mit Schwarzweißabbildungen von Bergbauern und Schlängelstraßen. Die geradlinigen, klassisch-modernen Layouts werden von den sparsam eingesetzten farbigen Vignetten und Schmuckelementen Beranns belebt, die nicht einfach sinnlos-dekorativ sind, sondern die jeweilige Attraktion in stark verdichteter Form illustrativ zusammenfassen.

Diese Kunst der Verdichtung, die Fähigkeit, gewissermaßen eine ganze Stadt in eine Nussschale zu packen, zeigt sich dann bei den jeweiligen Titelbildern in Vollendung. Sie ist überraschend bei einem Illustrator, der durch die Darstellung von Weite bekannt geworden ist. Und doch ist sie vielleicht eine Facette derselben leicht distanzierten Sicht auf die Dinge, die sich in seinen Panoramen und Fantasy-Bildern zeigt.

In Beranns Plakatmotiven und Illustrationen für den Nachkriegstourismus findet sich ein eigenartiger Humor. Was er darstellt, sieht verfügbar aus (das ist der für die Tourismuswerbung wichtige Aspekt), es sieht aber auch so aus, als müsse man es nicht allzu ernst nehmen. Bei Berann passt ganz Deutschland in das Kleeblatt einer Autobahnkreuzung. Ohne eigentlich fröhlich zu sein, haben diese Bilder eine milde, abgeklärte Komik. Das, ihr "Schwung" und ihre durchdachte, harmonische Farb- und Formgestaltung, macht diese frühen Berann-Illustrationen für mich so bemerkenswert. Zusätzlich ist vielleicht zu erwähnen, dass hier, quasi im Vorbeigehen, eine Art 3D-Collagetechnik erfunden wurde, die auch heute noch, mit anderen technischen Mitteln, als Darstellungsmethode interessant wäre.

Von 1952 an lebte Berann im Bergdorf Lans nahe Innsbruck. Seine grafischen Techniken hatte er sich größtenteils selbst erarbeitet, aufbauend auf seiner Ausbildung an der sicher erzkonservativen "Bundeslehranstalt für Malerei" in Innsbruck. Als Wehrmachtssoldat war Berann 1942 in Norwegen und dem nördlichen Finnland gewesen, und vielleicht wurde der Blick des 27-jährigen hier so geprägt, wie es seine Werke später zeigen: Er sieht die Welt aus einer Distanz, von der aus sich Zusammenhänge erschließen und das Wirken von Kräften in manchmal fast kosmischer Dimension sichtbar wird. In seiner minutiösen Darstellung von Details, die immer in das große Ganze eingebettet bleiben, zeigt sich aber auch eine Form von Hingabe und Zuneigung. Ja, vielleicht würde ein "lieber Gott" die Welt so ähnlich sehen, wie Berann sie uns dargestellt hat. Es lohnt sich auf jeden Fall, seinem Werk einen gründlichen Blick zu gönnen.


(Update am 18.02.2013) www.berann.com ist wieder online.
Anbei zwei Links zu Sammlungen mit Bildern Beranns:
http://portfotolio.net/krmmnn/album/72157606239071345
http://pinterest.com/source/berann.com/

Biografische Informationen aus de.wikipedia.org und en.wikipedia.org.

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