Dienstag, 4. Dezember 2012

Eine Geschichte rückwärts erzählen…

H. C. Berann: 31. März 1915 – 4. Dezember 1999

Der Grafiker und Maler Heinrich Caesar Berann starb am 4. Dezember 1999, berühmt unter Insidern, weitgehend unbekannt unter den Vielen, die seine Werke regelmäßig sahen und nutzten.

Jeder, der Ski fährt oder aus anderen (touristischen) Gründen mit Bergen zu tun hat, kennt seine Panoramen: Berann hat eine zugleich sachlich-informative und atmosphärische Darstellung von Berglandschaften begründet und kultiviert, die für unsere Vorstellung der Alpen prägend ist – zumindest, falls wir diese Prägung noch im 20. Jhdt. erhalten haben. Als brillanter Techniker hat er seinen Panoramen eine Tiefe und Weite gegeben, die sich dem Betrachter als eine Art Klang mitteilt – als tiefer und kräftiger Ton, der alles zu durchschwingen und zu tragen scheint. Seine typischen Wolken geben den eigentlich statischen Darstellungen ein Element der Spannung und Bewegung. Beranns Panoramen sind meisterhaft, wahrnehmungsprägend und gehen in Stil und Stimmung weit über das hinaus, was man von bloßer Gebrauchsgrafik erwarten kann.

Doch Berann hatte noch eine andere Seite: Er malte intensive Fantasiebilder mit mythischen Themen und oft düsterer Atmosphäre. Auf den ersten Blick sieht das manchmal aus wie der sexy Fantasykitsch eines Frank Frazetta, der Hildebrandt-Brüder oder von Boris Vallejo. Wenn es an diesen Werken Beranns etwas besonderes, faszinierendes gibt, etwas das über die minutiöse Darstellung archaischer Fantasiewelten hinaus geht, dann ist es die große Nähe zur Abstraktion. Beranns Bilder sind manchmal so atmosphärisch, dass sich das Motiv in geradezu Turner'scher Weise auflöst. Er nutzt seine herausragenden technischen Fähigkeiten weniger, um einer Niete auf einer Rüstung noch mehr Glanz zu geben. Wichtiger ist ihm offenbar, dass eine Stimmung, eine (auch emotionale) Wetterlage kraftvoll rüberkommt. Und durch all dem mystischen Nebel, durch all die Dämmerung schimmert zuweilen etwas von einem feinen Humor durch, dem wir gleich noch einmal wiederbegegnen werden.

Zur Panoramenmalerei ist Berann offensichtlich gekommen, weil er als Werbegrafiker in den 50er Jahren einiges an Illustrationen für die Tourismuswerbung gemacht hat. Es gibt da eine Menge Faltblätter, die für kleine und große Orte in den Alpen werben, mit Schwarzweißabbildungen von Bergbauern und Schlängelstraßen. Die geradlinigen, klassisch-modernen Layouts werden von den sparsam eingesetzten farbigen Vignetten und Schmuckelementen Beranns belebt, die nicht einfach sinnlos-dekorativ sind, sondern die jeweilige Attraktion in stark verdichteter Form illustrativ zusammenfassen.

Diese Kunst der Verdichtung, die Fähigkeit, gewissermaßen eine ganze Stadt in eine Nussschale zu packen, zeigt sich dann bei den jeweiligen Titelbildern in Vollendung. Sie ist überraschend bei einem Illustrator, der durch die Darstellung von Weite bekannt geworden ist. Und doch ist sie vielleicht eine Facette derselben leicht distanzierten Sicht auf die Dinge, die sich in seinen Panoramen und Fantasy-Bildern zeigt.

In Beranns Plakatmotiven und Illustrationen für den Nachkriegstourismus findet sich ein eigenartiger Humor. Was er darstellt, sieht verfügbar aus (das ist der für die Tourismuswerbung wichtige Aspekt), es sieht aber auch so aus, als müsse man es nicht allzu ernst nehmen. Bei Berann passt ganz Deutschland in das Kleeblatt einer Autobahnkreuzung. Ohne eigentlich fröhlich zu sein, haben diese Bilder eine milde, abgeklärte Komik. Das, ihr "Schwung" und ihre durchdachte, harmonische Farb- und Formgestaltung, macht diese frühen Berann-Illustrationen für mich so bemerkenswert. Zusätzlich ist vielleicht zu erwähnen, dass hier, quasi im Vorbeigehen, eine Art 3D-Collagetechnik erfunden wurde, die auch heute noch, mit anderen technischen Mitteln, als Darstellungsmethode interessant wäre.

Von 1952 an lebte Berann im Bergdorf Lans nahe Innsbruck. Seine grafischen Techniken hatte er sich größtenteils selbst erarbeitet, aufbauend auf seiner Ausbildung an der sicher erzkonservativen "Bundeslehranstalt für Malerei" in Innsbruck. Als Wehrmachtssoldat war Berann 1942 in Norwegen und dem nördlichen Finnland gewesen, und vielleicht wurde der Blick des 27-jährigen hier so geprägt, wie es seine Werke später zeigen: Er sieht die Welt aus einer Distanz, von der aus sich Zusammenhänge erschließen und das Wirken von Kräften in manchmal fast kosmischer Dimension sichtbar wird. In seiner minutiösen Darstellung von Details, die immer in das große Ganze eingebettet bleiben, zeigt sich aber auch eine Form von Hingabe und Zuneigung. Ja, vielleicht würde ein "lieber Gott" die Welt so ähnlich sehen, wie Berann sie uns dargestellt hat. Es lohnt sich auf jeden Fall, seinem Werk einen gründlichen Blick zu gönnen.



(Update am 18.02.2013) www.berann.com ist wieder online.
Anbei zwei Links zu Sammlungen mit Bildern Beranns:
http://portfotolio.net/krmmnn/album/72157606239071345
http://pinterest.com/source/berann.com/

Biografische Informationen aus de.wikipedia.org und en.wikipedia.org.

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Donnerstag, 29. November 2012

50 Jahre wahre Worte

"…unsere Karosserien [müssten] endlich fortschreiten (…), nicht, indem man mit dem Zeichenstift an ihnen herumkritzelt, sondern indem man sie umkrempelt."
Fritz B. Busch, 1965

Mehr dazu steht hier:
> autonova-fam-der-erste-familien-van

Dienstag, 27. November 2012

Die Welt aus einem Golf gesehen.

 Audi A2, VW Golf 1 bis 7, Renault Twizy

Seit vielen Jahren bin ich daran gewöhnt, mich für die Wahl meiner Fahrzeuge rechtfertigen zu müssen. Das begann nicht erst mit dem Renault Twizy, den ich seit Sommer für die täglichen Kurzstrecken nutze, sondern schon vor zehn Jahren, als ich kurz nach seinem Erscheinen den Audi A2 zu meinem Auto machte – ein Modell, das ich seitdem ohne Pause in verschiedenen Ausführungen nutze und ausserordentlich schätze.
Der Rechtfertigungsdruck, der von "normalen" Autofahrern ausgeht, wenn sie ein (wenn auch nur leicht) von den Konventionen des "mehr und stärker"  abweichendes Fahrzeug sehen, hat auch eine angenehme Seite: Er erzeugt nämlich ein ziemlich starkes Gefühl der Sicherheit, wenn nicht sogar Überlegenheit, weil man nach vielen Tausend Kilometern weiß, welche Vor-Urteile unsinnig sind, und welche Vorteile dem voreingenommenen Normalnutzer entgehen. Als Designer schätze ich zusätzlich die radikale Stringenz, die intelligente Funktionalität und die fast bauhausmäßig klare Formauffassung, die Audi beim A2 verwirklicht hat.
Wegen eines merkwürdigen Malheurs, an dem etwa 20 Kilogramm schweizer Schnee beteiligt waren, musste mein A2 in eine Karosseriewerkstatt und ich wurde für etwa 2 Monate zum Golf-Fahrer.

Golf heute: Alles richtig gemacht.
Die Welt sieht aus einem Golf betrachtet anders aus. Man befindet sich ja sozusagen in der Mitte der Gesellschaft. Dieses Auto wird allgemein anerkannt und wenn es dunkelgrau lackiert ist und schöne, moderne Felgen trägt, sogar bewundert. Trotzdem musste ich mich erst daran gewöhnen, in gewisser Weise nicht gesehen zu werden. Niemand schaut nach, was "da für einer drinsitzt", niemand riskiert wegen des Autos einen zweiten Blick. Man wird als Insaße unsichtbar.
Das hat interessante Folgen für andere Bereiche des Lebensstils. Musik, die ich sonst immer und gerne höre, erschien mir auf einmal seltsam und irgendwie überkandidelt. Auf der anderen Seite kam mir der "scheinkonservative" Kleidungsstil den ich pflege plötzlich todlangweilig und lahm vor. In einer dunkelblauen Übergangsjacke mit Rautenstepp einen relativ auffälligen A2 zu verlassen fühlt sich vollkommen anders an, als mit derselben Jacke einem dunklen Golf zu entsteigen.
Auch die Wahrnehmung anderer Fahrzeuge verändert sich. Und zwar in Richtung des bekannten schwäbischen Prinzips "no nix narrets", also hin zu einer Ablehnung von allem, das irgendwie überflüssig oder übertrieben wirkt. Man begreift, dass für einen Golf-Fahrer ein Opel Astra mit seinem dynamisch-gefälligen Stil ein indiskutabler Modeartikel sein muss. Man nimmt die Unterscheide zwischen japanischen, koreanischen und europäischen "nicht-Premium"-Marken feiner wahr, dabei fällt ins Auge, wie sehr sich alle bemühen, toll, aufregend und dynamisch auszusehen – und wie gleichartig alle diese Bemühungen am Ende doch wirken.
Es ist ja nicht so, dass VW beim Golf auf Eindruck machende Details verzichtet. Außen sind das die Leuchteinheiten, die ausdrücklich als "Showcase", also als kleiner Ausstellungsraum für technische Kompetenz und Brillanz, gestaltet werden. Im Interior sind das bestimmte Schalter und Knöpfe, deren Form und Material eher nach Kriterien des Stils als der Funktion gewählt zu sein scheint.
Die Kunst, die VW beim Golf zur größten Höhe triebt ist die, individuelle, teilweise beinahe avantgardistische  Lösungen so aussehen zu lassen, als wären sie schon immer da gewesen. Beim Golf II hat man z.B. begonnen, starke Proportionskontraste anzuwenden: Es gibt eigenartig kleine, filigrane Details, die in großen, fast groben Flächen sitzen. Dieses Stilmittel hat VW bis heute beibehalten und zum Charaktermerkmal des Golf gemacht. Bemerkt wird diese Besonderheit kaum, jedenfalls nicht von Freunden des Hauses.
So etwas hilft, das Prinzip der "Referenz ohne Nachahmer" zu verwirklichen, das für den Golf lebenswichtig ist. Man sieht aber auch, dass der Gestaltungsspielraum für "Das Auto", wie VW den Golf jetzt nennt, immer enger wird. Das ist die Last des unglaublichen Erfolges: 22.000 Golf und Jetta wurden laut Autozeitung in Deutschland im Oktober verkauft, mehr, als als von den Modellen der Plätze zwei bis vier zusammen (die im Übrigen auch aus dem VW-Konzern stammen)!
Dieser Golf 1 hat noch nicht einmal Kopfstützen…
Mein Golf hatte, wie man so schön deutsch, mit anerkennend vorgeschobener Unterlippe, sagt, "Vollausstattung". Er umsorgte mich mit einem automatisierten Getriebe, konnte automatisch einparken und seine Soundanlage gehörte zu der Sorte, die klangmäßig auf "Beeindrucken" programmiert sind – nicht auf lineare Wiedergabe dessen, was im Studio erarbeitet wurde. Das alles macht am Anfang großen Spaß. Aber das Gefühl des Umsorgt-Seins schlägt – zumindest schlug es bei mir – schnell in ein Gefühl des Bevormundet-Werdens um. Man erlebt sich nicht mehr als Bändiger von Technik (wie das vielleicht zu Zeiten des Golf 1 noch der Fall war), nicht mehr als Nutzer eines komplexen, ausgereiften Gegenstandes, sondern als Angestellter eines Richtigkeits-Unternehmens, in dem keine Fragen erlaubt sind. Es ist z.B. nicht möglich, die Steuerung des DSG so zu überlisten, dass es etwas später hochschaltet. Das Ausschalten des Radios ist so gestaltet, dass man dabei den Eindruck bekommt, einen unguten Ausnahmezustand herzustellen. Bei allem was man tut und lässt ist eine Art stumme Referenz spürbar, wie die Nutzung eigentlich gedacht sei. Nach einigen Wochen, empfand ich das Fahren im Golf dann auch nicht mehr als komfortabel und erfreulich, sondern als Arbeit. Trotz all der Helferlein und obwohl hier alles so richtig ist. Und das Design des Golf wirkte nicht mehr cool, sondern freudlos.
Perfektion macht traurig. Dieser Satz fällt mir bei der Begegnung mit Oberklasselimousinen regelmäßig ein, mittlerweile scheint der Effekt in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein.
Als Zeuge der Anklage diene der Twizy: Das zweisitzige Leichtgefährt ist alles andere als perfekt. Es verfügt über keinerlei Komfort, kommt ohne Seitenscheiben aus, hat ein nicht ganz unproblematisches Fahrverhalten, wird bei exakt 83 km/h Tachoanzeige abgeregelt, und ist, wenn man darin fährt, trotz Elektroantrieb nicht einmal leise, weil das gerade verzahnte Untersetzungsgetriebe singt und pfeift, dass Gott erbarm'. Dennoch (oder deswegen?) schafft das Gefährtchen es, dass sich auf den kurzen Strecken, die man damit fahren kann, regelmäßig die Mundwinkel heben und gute Laune auftritt. Das hat mit der Unmittelbarkeit des Fahrerlebnisses zu tun, mit dem beinahe sportlichen Anspruch, den der Twizy an seinen Reiter – pardon: Fahrer stellt. Und mit dem nonchalanten Witz, mit dem das ganze Ding gestaltet ist – durchaus intelligent, sehr pragmatisch und trotzdem mit Chic.
Vielleicht lässt sich hier was lernen. Der Golf 1 wusste davon noch einiges.

Dienstag, 6. November 2012

Alte Zeiten, manchmal wirklich gut…


Porsche bemüht sich ja immer noch sichtlich um eine intelligente Vermittlung der kraftmeierischen Markenbotschaft
Was 1958 an Bild und Text als angemessen für die Marke erachtet wurde, hätte heute aber keine Chance mehr. Was man bedauern kann, weil es schön, klug und unaggressiv war.



Hier der Originalpost: http://www.codex99.com/design/131.html

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Museo dell'Automobile, Turin, September 2012: Sonderschau Bertone

Donnerstag, 27. September 2012

Freitag, 31. August 2012

Schlechte Nachrichten

Ich habe das Projekt wirklich sehr geschätzt und bis zuletzt gehofft, dass zumindest noch eine teure Edel-Version umgesetzt werde. Nun hat Mindset Konkurs angemeldet:
mindset-meldet-konkurs-an
Wir bedauern das Ableben eines eigenständigen, originellen und richtungsweisenden Projektes.
Der Mindset hätte das Leben auf unseren Straßen ein bisschen besser gemacht.





Donnerstag, 1. März 2012

Unstetes Sternbild

Mercedes-Benz, Corporate Identity

»Mercedes – Ihr guter Stern auf allen Straßen.« Immer, wenn ich als Kind den Münchner Hauptbahnhof betrat (und also in Reiselaune war), leuchtete mir diese Schrift entgegen. Für mich stand fest, dass dies die Werbung des besten aller denkbaren Autohersteller war. Teuer, freilich – zu teuer für meine Eltern, die ihr Geld lieber für Urlaubsreisen ausgaben – aber auch in jeder anderen Hinsicht aus einer anderen Welt.

Manches an diesen Autos schien mir seltsam, und auch als ich im Teenageralter die T-Modelle der Reihe W123 auf langen Reisen sehr gut kennenlernte änderte sich an dieser Empfindung nicht viel.

Doch diese Seltsamkeit war immer unterfüttert durch einen unerschütterlichen Führungsanspruch. »Customers don‘t know what they want until we‘ve shown them« – dieser von Steve Jobs geprägte Satz hätte, auf gut deutsch natürlich, damals von Mercedes kommen können. Sicherheit war der prägende Eindruck, den man von der Marke und ihren Produkten hatte – Sicherheit nicht nur in dem Sinne, dass einem im Falle eines Falles im Mercedes weniger passiert wäre als in jedem anderen Auto, sondern Sicherheit auch im Sinne einer Handlungssicherheit derer, die diese Autos entwickelten und bauten. Das teilte sich mit. Wenn Mercedes es machte, war es richtig. Es hatte was von Glauben, jedenfalls von Vertrauen und immer schwang ein Hauch von Ewigkeit mit, wenn der Name »Mercedes« fiel. Man kann den Wert, den diese Marke bis in die 1970er Jahre hinein hatte vielleicht gar nicht überschätzen. Seither ist manches geschehen.

In den letzten 25 Jahren haben wir immer wieder davon gehört oder gelesen, dass die Marke mit dem Stern sich neu erfindet. Von Neuanfang war da die Rede, von einer Designrevolution, auch vom Vermeiden der Fehler der Vergangenheit. Und ein solcher Neuanfang wurde nicht ein mal verkündet, sondern regelmäßig.

Mercedes hat einen neuen Claim. »Das Beste oder Nichts«. Lassen wir mal die Frage weg, ob ein Satz, der zu fast der Hälfte aus Verneinung besteht, sich als Statement eignet – nach einer langen Zeit der Beliebigkeit enthält er aber doch eine echte, markenentypische Aussage. Ihre Glaubwürdigkeit wird sie im Laufe vieler Jahre erst noch beweisen müssen. Sogar der Name des Konzerns und seiner Produkte hat sich in den letzten Jahren mehrmals geändert. Daimler? Mercedes? Benz? Chrysler? Was nun? Drei oder vier Relauches hat das grafische Erscheinungsbild der schließlich doch noch erkennbaren Marke Mercedes über sich ergehen lassen müssen, und die waren nicht substanziell. Ein Soundlogo wurde, für einen angeblich sechsstelligen Betrag, erworben, das sich als ein leicht modifizierter Clip von einer RoyaltyFree-CD erwies. 3 Jahre später wurde es still beerdigt.

Und die Autos mit dem Stern? In diesen Tagen wird eine neue A-Klasse präsentiert, wieder eine Revolution! Mercedes hatte das Konzept des kleinen Minivan mit Sandwichboden erfunden und mutig (wenn auch etwas schusselig, Stichwort: Elch-Test) in den Markt gestellt. Zuerst wurde es kaum akzeptiert, dann zögerlich angenommen, schließlich durch andere neu interpretiert, wieder verworfen, erneut aufgenommen – und ist jetzt so aktuell wie nie. Doch Mercedes verabschiedet sich von dem Konzept und positioniert die A-Klasse neu, gegen 1er und A3, so dicht an diesen Mitbewerbern, dass schon Verwechslungsgefahr besteht. In zwei Jahren werden dann Audi (zum zweiten Male) und BMW (mit besonders hohen Erwartungen) Erben der A-Klasse vorstellen. Mercedes wird nichts Entsprechendes anzubieten haben.

Als jemand, der den Stern noch in seiner alten Herrlichkeit kannte und bewundert hat, stellt sich mir wieder und wieder die Frage: Was tun die da eigentlich? Ist man sich bewusst, welchen Eindruck diese ständigen – lauthals verkündeten – Kurskorrekturen beim Kunden machen? Manches von dem, was ich oben geschildert habe und vieles, was hier nicht zur Sprache kam, könnte aus einem Lehrbuch stammen, Titel: Wie zerstöre ich eine unzerstörbare Marke.

Stellen wir uns einen Augenblick vor, Mercedes wäre noch immer »Ihr guter Stern auf allen Straßen«. Stellen wir uns vor, die Marke hätte in den 80ern konsequent die Welle des Neokonservativismus geritten, hätte sich in den retro-begeisterten 90ern der wunderbaren Sportcoupés besonnen, die man 30 Jahre zuvor gebaut hatte (anstatt ihren Nachfolgern ein pseudosachliches Design zu geben, das niemanden wirklich begeistern konnte), wäre noch heute Hersteller unzerstörbarer, aber sündhaft teurer Autos, hätte noch immer Modellzyklen von 10 oder mehr Jahren, würde noch immer eigensinnig und akribisch grundlegende Verbesserungen entwickeln, gleichzeitig avantgardistisch und schwäbisch-provinziell. Stellen wir uns vor, man würde die üblichen Marketingsprüche von der Emotionalität des Produktes mit Verachtung strafen und tief emotionale, weil einfach überzeugende Autos bauen. Ist das vorstellbar? Vielleicht – und wenn, dann wäre das eine Marke mit einem beinahe religiösen Nimbus, in einer anderen Welt zuhause als die beiden bayerischen Mitbewerber, unvergleichlich, einmalig.

Man merkt schon, dass dieses Bild nicht so recht Farbe bekommen mag. Vielleicht konnte es nicht anders laufen, vielleicht ist der kurvenreiche Kurs der ehemals angesehensten deutschen Automarke einfach den Zeitläuften geschuldet, einschließlich der Zerstörungen, die profilierungssüchtige Manager und unsichere Entscheider an ihr verursacht haben. Aber eine Besinnung auf die alten Werte der Langlebigkeit, der Qualität und des Dienstes am Menschen (der nicht selten Dienst am Kunden war) wäre heute, im Jahr 2012, tatsächlich ein bisschen revolutionär. Den Begriff der Nachhaltigkeit musste man erst erfinden, das Prinzip gab es bei Mercedes schon lange. Rückbesinnung bei technologischer Führung, das wäre es.

Stattdessen strebt man mit aller Kraft in die Vergleichbarkeit. Modelle werden punktgenau gegen die der Mitbewerber positioniert, wertvoller Besitz wird verscherbelt (wie der Plakettengrill mit dem aufgesetzten Stern) oder jahrelang liegen gelassen (wie die Brennstoffzelle) und das neue Design von Gorden Wagener zeigt sich zwar bei den Konzeptfahrzeugen sehr edel, geradezu couturig, wird aber offenbar bei jedem neuen Modell in zahllosen Elefantenrunden plattgetrampelt, so dass am Ende ein beliebig modisches Geförmel auf die Straße kommt, das manchmal – und nicht an den schwächsten Stellen – an Opel erinnert (die andere Marke, die sich alle drei Jahre coram publico neu erfindet). Mit Verlaub: Es ist ein Trauerspiel. In der populären Fachpresse wetteifern die Leser nach der Präsentation der ersten Bilder einer neuen C-Klasse in ihren Briefen darin, wer den beleidigendsten Vergleich mit einem sogenannten Butter-und-Brot-Auto findet. Nun gut, das tun sie immer bei neuen Modellen. Aber erstens war Mercedes früher in dieser Hinsicht sakrosankt, und zweitens wäre es ganz schön schwierig gewesen, beispielsweise für einen W124 (die 1984 präsentierte mittlere Mercedes-Klasse) ein Vergleichsobjekt im Markt zu finden.

Nun will man uns allen Ernstes diese neue Designlinie als Rückkehr zur Klarheit verkaufen, als »Verzicht auf überflüssige Sicken und Kanten«, wie es so gerne formuliert wird. Durchaus möglich, dass dieses Neo-Retro-Design intelligent und (bis zur nächsten hausgemachten Revolution) marktgerecht ist, aber ihm fehlen gewiss zwei Eigenschaften: Originalität und Klarheit.

Originell ist es nicht, weil es sichtlich dem selben inzestuösen Carstyling-Stall entstammt wie praktisch die gesamte Durchschnittsware, die auf unseren Straßen fährt. Originell wäre ein Verzicht auf die aufgeregte Seitenmodellierung, die z.B. Mazda schon länger und konsequenter umsetzt. Originell wäre, anstelle der großen Geste, Verfeinerung, ähnlich wie Audi sie betreibt (viel kritisiert und überaus erfolgreich) nur auf einer ganz anderen, der eigenen, Basis.

Klarheit findet sich nicht, weil eine Überzahl von Lichtkanten, raffiniert gewölbten Flächen und elegant ausmodellierten Übergängen eben nicht klar aussieht, sondern das Fahrzeugvolumen hinter Reflexen und Schattenlinien verschwinden lässt – eine rollende Geste, die vieles bedeuten will, die es laut behauptet, und der es deswegen leider an Würde mangelt. Dass zudem häufig Diskrepanzen zwischen Form und Konstruktion die Mercedes-Ingenieure zu Notlösungen wie Blenden oder falschen Fugen zwingen, macht die Sache nicht besser.

Beides, Originalität und Klarheit wären aber, nicht nur auf das Karosseriedesign bezogen, sondern im Hinblick auf die ganze Marke, die richtigen Botschaften. Der Stern hat noch Leuchtkraft, aber dieses Potential muss sorgsam und konsequent genutzt werden. Die in Sachen Wachstum und steigendem Markenwert erfolgreichsten Marken der Gegenwart haben eines gemeinsam: Ein klar erkennbares Konzept und eine manchmal fast beunruhigende Beharrung auf ihrem einmal eingeschlagenen Weg. Und bei allem Humor, der zuweilen in der Umsetzung gezeigt wird, verstehen die Verantwortlichen hier, beim Markenkern und bei der Markenausrichtung, offenbar keinen Spaß, und sie sind auch nicht zu Spielen bereit. Diese Ernsthaftigkeit und diese Sicherheit entstehen, wenn Entscheidungen mit einer gewissen Leidenschaft, aber ohne jede Angst getroffen werden.

Wer sich sorgt und wer nicht bei der Sache ist, der vermasselt die Prüfung, wir alle wissen das. Und das ist das eigentlich Fatale an der Zappeligkeit, die Mercedes sich in seinem Auftritt erlaubt: Dass indirekt ständig der eigene Erfolg in Frage gestellt wird. Unverzeihlich in den Augen der klassischen Kunden des Hauses, uninteressant für neue.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Etwas viel Kulturpessimismus, ansonsten ganz auf meiner Linie:

FAZ: Neues Autodesign – Das Leben, vom Tode her betrachtet

Anmerkung: Man hätte bei diesem Thema zwischen USA, Europa und Japan unterscheiden dürfen. Kulturelle Unterschiede gibt es ausreichend.

Mittwoch, 11. Januar 2012

Goodnight expected

Audi A8, Mercedes S-Klasse

In den USA spielte Audi in diesem wunderschönen Spot mit der unten erwähnten Oberklasse-Erwartung und positioniert sich damit weg von den Konservativen hin zu den Liberal-Intellektuellen und Performern – beides wachsende Milieus.