Mittwoch, 7. September 2011

Das Bauhaus und die Souveränitätsfalle

Design, Kultur, Leben

Ich mag gar nicht daran denken: Wie viel Prozent der Befragten würden bei einem Straßeninterview wohl auf die Frage, was das "Bauhaus" sei mit "eine Baumarktkette" antworten? Wie sehr oder wenig sind sich Menschen, die gestaltete Produkte kaufen, darüber im Klaren, welche unglaubliche Bedeutung diese Gestaltungsschule für das Aussehen unserer Umwelt hat?

Nur zehn Jahre lang wurde am Bauhaus geforscht und gelehrt – unter schwierigen Bedingungen, denn es gab von allen Seiten, besonders aber von der politischen Rechten, erheblichen Widerstand. Und die Studenten waren größtenteils arm. Es gehörte zu den Ideen des Bauhaus, dass der Schüler "ohne den Scheck vom Vater", wie Gropius einmal schreibt, also in Unabhängigkeit und Freiheit, selbstbestimmt lernen und leben sollte.

Seine Bedeutung hat das Bauhaus dann vielleicht auch weniger wegen seines Einflusses auf die Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Wichtig ist es viel mehr, weil hier eine waschechte Sozialutopie verfolgt wurde, eine konkrete Utopie, die gleich vor Ort ausprobiert wurde.

Man denkt an strenge Formen und industrielle Produktion, wenn man das Wort Bauhaus hört und vergisst, dass hier nicht nur eine Wiederversöhnung aller gestaltenden Berufe versucht wurde, sondern auch unbändige Spiellust, Frechheit, Experimentierfreude und Optimismus gediehen – und zwar in einem fast klösterlichen Umfeld.

Als ich vergangenes Wochenende durch die Räume des von Walter Gropius 1925 gestalteten Bauhaus lief, traf mich, unvorbereitet, eine tiefe Rührung. Nicht nur, dass es diesen so besonderen Ort, nach tausend und 40 Jahren Ideologie, noch gibt berührte mich, sondern auch, dass er eine solche unprätentiöse Anmut besitzt. Die berühmten Bauhaus-Sofittenleuchten sind in ihrer zerbrechlichen Einfachheit so schön, dass man das Gefühl hat, einen unendlich wertvollen Schatz zu sehen. Kein Foto kann das wiedergeben. Und wenn die Knäufe der Türen des Bühnenraumes in metallgefasste Aussparungen in der Wand gleiten, so dass die Tür in einem echten 90°-Winkel sanft offen gehalten wird, dann hat man den Eindruck, hier sei nicht nur Präzision am Werk, sondern auch eine Art Zärtlichkeit der Dinge. Im Speisesaal stehen Hocker, auch sie berühmt, gestaltet und gebaut in der Metallwerkstatt des Bauhauses. Sie sind sehr einfach, und doch fällt die Würde, die dieses kleine Möbel hat und die es (ohne Rückenlehne) dem darauf Sitzenden lässt, sofort ins Auge – zumal, wenn man vergleicht, worauf heute Tausende von Stundentenhintern schwitzen… Das Ganze strahlt eine irgendwie liebevolle Strenge aus. Liebevoll, weil so viel Energie in die Details investiert wurde, und auch, weil spürbar wird, wie groß der Wunsch war, die Dinge, die Welt besser und wesentlicher zu machen.

Man weiß, dass die Glasfassade des Werkstatttraktes diesen im Sommer zum Treibhaus machte, während im Winter auch innen Minusgrade herrschten. Das Dach das Bauhaus war undicht, die Akustik fragwürdig und die Platzverhältnisse unausgewogen. Kunstgeschichtler nennen dies die "heroische Moderne", und sicher ist ein wenig Heldentum nötig gewesen, um diese Gebäude, die eigentlich Experimentalbauten waren, nutzen und lieben zu können. Aber auch mit diesen Mängeln war die Architektur, das Design, die Gestaltung dieser Zeit wertvoll und gut.

Denn, neben der Arroganz, alles neu und besser zu machen als alle Generationen davor, war da auch so etwas wie Demut. "Wir probieren es!", war die Devise und nicht: "Wir wissen es." Überall wird die Bereitschaft spürbar, das Material zu befragen, technische Prinzipien wirklich zu erforschen und die Gesetze der Wahrnehmung der Dinge durch den Menschen neu zu entdecken. Die berühmte Umfrage unter den Meistern und Schülern, welche Farbe welcher geometrischen Grundfigur entspräche mag uns heute amüsieren. Aber in ihr kommt zum Ausdruck, wie sehr man bereit war, hinzusehen, zuzuhören und Regeln zu entdecken, von den Wurzeln an – radikal.

Was ist in nicht einmal hundert Jahren passiert, dass wir beinahe hochmütig auf diese Zeit und ihre Bemühungen blicken? Ein kleiner Prozentsatz von uns lebt in Wohnungen, deren Gestaltung von Bauhaus-Ideen und Bauhaus-Ästhetik beeinflusst ist. Eine weitere kleine Gruppe lebt in einem Umfeld (oder wuchs zumindest darin auf), das vom Geschmack des 19. Jahrhunderts durchtränkt ist. Aber die allermeisten haben kaum eine andere Wahl, als in einem mehr oder weniger geschmackvoll ausgewähltem Durcheinander von so billig wie möglich hergestellten, mit kalt lächelnder Nonchalance gestalteten und weniger substanziellen als virtuellen Gegenständen zu leben. Und selbst Substanzialität wird heute, wie bei Manufactum, zur Masche, zur Haltung, zu etwas, das man vorzeigt.

Der Unterschied zwischen der politisch oder weltanschaulich motivierten Arbeit der Bauhaus-Gestalter, die in konkreten Produkten mündete und der heutigen Methode, konkrete Produkte mit Lebensgefühlen aufzuladen, um sie verkaufbarer zu machen ist der zwischen zwei Welten. Unsere Welt, mit ihren Zielgruppen, Images und Moodboards knüpft im Grunde an die Frühphase der Industrialisierung an, auch wenn durch die Moderne das Vokabular erweitert wurde und nicht mehr so viele "Stilmöbel" in Fabriken hergestellt werden.

Der Punkt ist, dass es eben nicht um Freiheit geht! Es geht um das Binden von Kaufkraft, das Aktivieren noch der letzten Ressourcen des "Verbrauchers" (was für ein grausames, verächtliches Wort für einen Menschen) für den wirtschaftlichen Erfolg, es geht, letzten Endes, um die Herrschaft des Geldes. Der Designer ist, nolens volens, die Oberhure in diesem Geschäft. Wenn er seine Arbeit ordentlich gemacht hat, hat er dennoch etwas Gutes getan, denn sauber gestaltete, funktionierende und angenehme Produkte sind unter allen Bedingungen besser als schlechte. Aber wenn wir uns fragen, ob wir als Gestalter einmal etwas Wesentliches zur Weiterexistenz der Menschheit, zur Wertfindung und zum "besseren Leben" beitragen können, dann müssen wir vielleicht noch einmal zurück gehen in diese andere Welt, in die Zeit der Utopien und der hoffnungsvollen Zukunftsvisionen.

Die Zeit des Bauhaus war ideologisiert bis zur Unerträglichkeit. Man sieht das an all den Manifesten und Pamphleten, die damals geschrieben und verteilt wurden, aber auch an den Straßenschlachten, politischen Morden und schließlich am kollektiven Wahnsinn des so genannten "Dritten Reiches". Und doch gab es eine heftige Tendenz zu Reinheit und Freiheit am Bauhaus und bei anderen Helden der Moderne. Die Leistung der Moderne besteht nicht so sehr in der Etablierung einer neuen Ästhetik, sondern in der Reinigung der Dinge. Die Gegenstände sollten befreit werden von einer alten Formsprache, die Ideen, Vorstellungen und (größtenteils im Untergang begriffene) Werte transportierte.

Immer wieder ist von Transparenz, Klarheit, Reinheit und Hygiene die Rede, wenn die Moderne spricht. Gerade den letzten Begriff, den der Hygiene, kann man ernst nehmen und ihn mit gutem Gewissen erweitern: Es gibt auch eine emotionale Hygiene, eine Reinheit des Lebensgefühles, eine Freiheit von emotionalen Bindungen an Dinge. Danach hat die Moderne ursprünglich gestrebt, und das wurde von der so genannten Postmoderne als Wert verleugnet oder nicht akzeptiert. Und wir beherrschen das Spiel mit den Emotionen perfekt, wir haben die Materie im Griff, und sie spricht genau so wie wir wollen, damit wir sie noch mehr begehren.

Was würde – und hiermit kriegen wir nun doch recht zwanglos die Kurve zum Automobildesign – was würde geschehen, wenn Autos überwiegend nach Kriterien der Funktionalität und des Nutzens gekauft würden? Wenn der Kampf um das tollere, schnellere, beeindruckendere Auto einfach auf breiter Front beendet würde? Nein, das Leben würde nicht langweiliger, wir würden auch nicht doppelt so lange für die Strecke nach Hamburg brauchen. Was vor allem anderen passieren würde ist, dass jeder Einzelne Ressourcen frei bekäme! Zeit, Geld, Lebenskraft! Wie gerne wird er zitiert, der freche Spruch vom "mit Geld, das man nicht hat Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag". Aber er ist eigentlich gar nicht lustig. Er ist der Ausdruck einer totalen Abhängigkeit von fremd bestimmten Idealen des Status, durch die jede Freiheit, ein wirklich eigenes Leben zu finden, aufgebraucht wird. Und er ist wahr. Hier liegt die eigentliche stille Kraft, die aus der frühen Moderne immer noch zu uns fließt, wenn wir sie ernst nehmen und ihr ihre Fehler verzeihen: Dass sie uns aus der Souveränitätsfalle führen kann. Die Moderne kann uns lehren zu verlernen, wie wir uns gegenseitig durch Dinge binden und an Dinge binden. Sie kann dem Gestalter seine virtuelle Herrscherkrone nehmen und ihn wieder zum Diener aller machen.

Status, den man kaufen kann hat in Wahrheit sowieso keine Bedeutung – eben, weil ihn jeder kaufen kann. Was also sonst könnte uns motivieren, ein Produkt gut zu finden und es, als Gegenleistung für unsere eigene Arbeit, erwerben zu wollen? Die Moderne hatte ihre eigenen, demütigen und gleichzeitig überschäumend freien Ideen hierzu.

Gehe zurück auf Loos. Ziehe nicht 4.000 € ein. Frage dich, was eigentlich dein Wert ist.


(Fotos vom Autor.)

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