Das Ich und sein neues Auto
»Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gestz werde,« so lautet der von Immanuel Kant formulierte »kategorische Imperativ«. Ein ziemlich deutscher Gedanke ist das, ohne Zweifel auch ein recht guter. Bedauerlicherweise wird er in seiner Bedeutung gerne auch mal auf den Kopf gestellt, so nämlich, dass die Maxime des eigenen Handlens allgemeines Gesetz werden müsse. Das steht da aber nicht und so ist es auch nicht gemeint.
Ohne je formuliert oder auch nur gedacht zu sein, gewinnt dieses Missverständns leider seit einigen Jahren wieder mehr Raum. Zu gleicher Zeit wird der Individualismus als einer der wichtigsten handlungsbestimmenden Werte erlebt. Und beides zusammen ergibt eine merkwürdige Zwickmühle, in der wir alle, mehr oder weniger, stehen: Einerseits ist uns um Unterschied zu tun, darum, ein sichtbar eigenes, besseres Leben zu führen als andere. Wir wollen aber andererseits auch, dass unser Leben in gewissem Umfang als sozial verbindlich, vorbildlich also, anerkannt wird. Was daraus folgt ist eine Haltung mit etwas Anmaßung, etwas, das sich auch so beschreiben lässt: Jeder ein Fürst in seinem eigenen Kleinstaat.
Ich betreibe diese Bauklötzchen-Philosophe am Anfang eines Textes über den möglichen Wandel im Mobilitätsverständnis, weil mir der beschriebene Sachverhalt zu erklären scheint, was ich im Hinblick auf Autokauf und Fahrzeugnutzung immer wieder beobachte: Kampf, Rechthaberei, witzlose Machtspielchen. Das Auto ist auch eine Hülle für das Ich, ein Werbevehikel zur Darstellung des eigenen Wertes (im doppelten Wortsinn). Als solches drückt es nicht zuletzt aus, was wir von unserem Nächsten halten.
Michael Winter beschreibt in seiner, von ihm so genannten, Polemik "Das Ich und sein Auto (Süddeutsche Zeitung, 17.18.9.2011, WE- Beilage, Seite V2/b – Online-Variante hier) das Automobil als Hilfsmittel zur Distinktion. »Das wichtigste und teuerste Gut wird in Zukunft nicht Gold, sondern Distanz sein,« sagt er, "»Um Distanz unübersehbar zu markieren, ist Vermögen gleichwohl unverzichtbar.«
Aber Distinktion ist eben gar nicht in erster Linie Abstand, ist nicht tatsächliche Distanz, sondern es ist zur Schau gestellter, eben markierter Abstand – und genau darum geht es im heute immer heftiger ausgefochtenen Machtkampf auf der Straße. Dabei gilt, laut Winter, und wer würde da nicht gerne zustimmen: »Der individuelle Autoverkehr ist von Hochstaplern bevölkert.«
In der Tat: »Mehr Scheinen als Sein,« ist schon eine Devise, die auf deutschen Strassen gilt. Man muss das nicht so sehr auf das Produkt selbst beziehen (die technische Leistungsfähigkeit von Autos übertrifft möglicherweise oft das Versprechen, das ihr Erscheinungsbild macht). Der Vorwurf der Hochstapelei bezieht sich eher auf die wirtschaftliche Potenz des Besitzers oder auf die Nutzbarkeit solcher Spitzentechnik durch ihn. Was wir sehen ist das Ergebnis einer jahrelangen Aufrüstung. Mehr Schönheit, mehr Sicherheit, mehr Leistung, mehr Aufwand werden von Modellgeneration zu Modellgeneration eingesetzt – um letztlich immer wieder die selben Funktionen, seit 30 oder 40 Jahren beinahe unverändert, zu erfüllen: Mobilität, Individualität, Distinktion. Man könnte das den Lauf des Fortschrittes nennen und sich daran freuen, wenn da nicht mit dem höheren Aufwand immer auch ein zunehmender Verbrauch von Ressourcen einher ginge. Denn bei, wie gesagt, kaum veränderter Funktion wird immer mehr KnowHow, immer mehr Material, immer mehr Geld investiert – Aufrüstung also.
Winter beschreibt in seinem Text auch die Freude an alten, prachtvollen Autos wie dem Mercedes 300 Sl, und es wird beim Lesen deutlich, dass so etwas wie ein Verlust von Unschuld stattgefunden haben muss. Es ist eben etwas anderes, ob eine Hand voll Persönlichkeiten (rund 300 in Europa, um etwas genauer zu sein) sich an einem ruppig-schönen Extremauto wie dem Flügeltürer freuten, der mit knapp über 200 PS eine Spitzenmarke setzte – oder ob vergleichbare Werte heute in jeder Mittelklasselimousine verwirklicht sind, und ein Vielfaches an Leistung und Aufwand nötig ist, um zur Spitze zu gehören. Diese Spitze ist zudem gar keine, wir stehen eher vor einer stumpfen Front Zehntausender Sich-selbst-wichtig-nehmer. Unsere Welt hat kaum mehr Raum und wenig Verständnis für Unikat und Unikum. Eine Steigerung des Vorhandenen führt zu nichts, jedenfalls zu nichts Wesentlichem. Die Entwicklung ist an ihrem Ende. Die alten Mittel der Distinktion wirken nicht mehr.
Immer wieder (und auch in Winters Text) wird eine Art elektromobiles Horrorszenario gemalt, in dem Unmengen identischer, lächerlich eiförmiger E-Mobile schüttgutartig über die Straßen rutschen, ihre Insassen zu gesichtsloser Fracht degradierend. Ich verstehe die Logik nicht, die zu dieser traurigen Vision führt, und mir scheint, sie beruht eher auf lustigen Science-Fiction-Illustrationen der 1960er Jahre als auf einer Idee davon, wie die Mobilitätskonzepte der Gegenwart in ihrer künftigen Verwirklichung aussehen könnten.
Drei Fragen möchte ich denen stellen, die von sich sagen, einer bevorstehenden Verbreitung elektrischer Kleinfahrzeuge mit Grauen entgegen zu sehen:
Frage 1: Wieso soll diese neue Fahrzeuggattung zu weniger Individualität führen?
Schließlich entsteht hier nicht nur eine zusätzliche Gattung (wie vor Jahren die SUVs oder die Großraumlimousinen), sondern auch eine, die mindestens so viel Spielraum für individuelle Gestaltung oder Ausdruck hat wie jede andere – wenn nicht mehr!
Frage 2: Was ist an einem kleinen, leichten Zweisitzer lächerlich?
In der Tat, es gibt eine Menge Studien und Entwürfe für elektrisch angetriebene Kleinfahrzeuge, die das Attribut »lächerlich« verdienen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie versuchen, Autos zu sein. Das Leitbild »Automobil« funktioniert aber unterhalb bestimmter Dimensionen nicht mehr. Also muss es zumindest variiert, besser völlig neu definiert werden. Wenn das gelingt, können hoch interessante, im besten Sinne aufregende Fahrzeuge entstehen.
Frage 3: Welchen Status drückt ein E-Fahrzeug aus?
Solange Größe für Macht steht und für Leistungsfähigkeit, werden Kleinfahrzeuge natürlich am unteren Ende der Preis- und Statusskala landen, auch mit E-Antrieb. Aber diese Denkweise stammt aus dem 20. Jahrhundert. Das elektronische Zeitalter hat uns gelehrt, dass Größe und Leistungsfähigkeit keine Synonyme mehr sind. Der Mensch im 21. Jahrhundert will nicht mehr das »Ding« – und davon möglichst viel – er will die Funktion – und diese möglichst verfügbar, diskret und unkompliziert. Vielleicht ist die Automobilbranche eine der letzten, in der dieser Paradigmenwechsel noch nicht vollzogen ist. Die HiFi-Türme der 80er jedenfalls sind bereits sang- und klanglos verschwunden. In diesem Lichte wird deutlich, dass andere, neue Werkzeuge zur Distinktion bereits verfügbar sind.
Die kommende Generation elektrischer, leichter Individualfahrzeuge kann also eigenständig, ernsthaft und leistungsfähig gestaltet werden. Das gelingt mit viel geringerem Aufwand als beim klassischen Auto und folglich auf eine dem Menschen wieder mehr Raum und Bedeutung lassende Weise. Der technische Gegenstand tritt zurück in seine dienende Rolle: Transportmittel, nicht Schild noch Waffe.
Auf der vergangenen IAA haben Audi mit den beiden Urban Concepts, VW mit dem Nils und Opel mit dem Rak-E schon mal gezeigt, dass man sich über die individuelle Ausprägung der neuen Mobilitätsform keine Sorgen zu machen braucht. Im Gegenteil: man sieht hier deutlich, dass eine wilde und fröhliche Pionierzeit bevor steht. Wer darüber lacht, mag stellenweise noch recht haben. Wer das ganze Konzept ins Lächerliche zieht, denkt in dieser Sache wohl einfach noch gestrig.
Man kann in dieser Entwicklung aber auch Freude sehen, Freude darüber, dass der verbiesterte Machtkampf auf den Straßen sich auf leichte und einfache Weise auflösen lässt. Das E-Auto eignet sich eher nicht als neue Bio-Waffe im Straßenkampf. Man kann es als Abrüstungs-Angebot verstehen, als Rückkehr zum Spaß und zum Sport, im ursprünglichen (britischen) Sinne des Wortes.
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