Mittwoch, 28. November 2018

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Car Design News: Design Essay – Why don’t people like ’clever‘ cars?

Als Klassiker geboren.

Tesla Model 3, Exterior Design, Interior Design

Seit über 20 Monaten habe ich nun sämtliche verfügbaren Bilder, Berichte und Videos vom Model 3 verschlungen, und ich war sicher, ein recht realistisches Bild von dem Fahrzeug zu haben, das nach Aussage mancher Leute die ganze Branche revolutioniert.
Oft habe ich mich gefragt, warum einerseits so viele positiv emotionale Reaktionen auf das Produkt im Web zu finden sind (manche sprechen von »Liebe«), andererseits aber häufig eine eigenartige Zurückhaltung in den Kommentaren und Berichten herrscht.
Fast war es, als ob die frisch gebackenen Besitzer und Tester es nicht wagen, das ganze Maß an Begeisterung zum Ausdruck zu bringen, das doch eigentlich durch die Summe der – von ihnen selbst beschriebenen – Eigenschaften ausgelöst werden müsste.

Gestern durfte ich nun eine keine Runde auf dem Hockenheimring im Model 3 drehen und es danach im Stand noch ein bisschen besser kennenlernen. Ich habe all’ die häufig beschrieben Features des UI ausprobiert, habe geklappt, geöffnet, geschaltet und gespielt, und habe dabei das Auto im wahrsten Sinne des Wortes zu erfassen versucht. Es war wie die Begegnung mit einem alten Bekannten. Durch all die Fotos und Videos und Berichte hatte ich das Gefühl, mit dem Model 3 durch und durch vertraut zu sein. Nichts hat mich wirklich überrascht. Es sieht genau so aus wie ich es mir vorgestellt habe (genau so gut, um genau zu sein). Es fühlt sich genau so an, und es fährt ganz so wie ich es nach all den lobenden (und auch den kritischen) Berichten erwartet habe.
Und trotzdem: Für mich ist nun nichts mehr, wie es war.

Zu dem Verständnis dessen, was Tesla da gemacht hat ist eine starke emotionale Verbindung mit dem Produkt hinzugekommen, die ich mir selbst erst noch erklären muss – die oben angesprochene »Liebe« erwacht gerade. Wodurch wird sie ausgelöst?
Zunächst einmal wurde beim Design von Model 3 auf etwas verzichtet, was in der heutigen Produktwelt sonst normalerweise zentral steht: Der schnelle, kräftige Effekt. Das ganze Ding wirkt in einer eigenartigen Weise zurückhaltend, dezent, elegant und selbstverständlich. Hier fehlt jeder plakative, ostentative Gestus.

In einem Umfeld, in dem praktisch jedes andere Produkt (auch und gerade solche mit minimalistischem Konzept) mit einer ausgeprägten Kraftmeierei gestaltet ist, wirkt das Model 3 damit seltsam verletzlich. Man kommt ganz schnell in die Haltung, eine Art Beschützerinstinkt gegenüber dem Produkt zu entwickeln. Man weiß, dass es richtig so ist, wie es ist – aber man hat zugleich ein wenig Sorge, dass das nicht verstanden, akzeptiert und respektiert wird. Dem gegenüber steht die gnadenlose, makellose aber völlig unspektakulär dargebotene Leistungsfähigkeit des Model 3 – es ist in Wirklichkeit alles andere als verletzlich oder schwach. Dieser Kontrast sorgt für den ersten Teil der Magie.

Für ein tieferes Verständnis wird es nun nötig über Dimensionen zu sprechen, über das, was Gestalter als Maßstäblichkeit bezeichnen – wobei die Referenz des Maßstabes immer der Mensch ist. In den letzten Jahren haben wir uns daran gewöhnt, dass unsere Fahrzeuge immer größer geworden sind. Damit das Klassensystem des Automarktes nicht durcheinander kommt, hat man dabei, insbesondere bei Fahrzeugen der »kleinen« Klassen, die Details mitwachsen lassen. Das führte zu immer größeren Türgriffen, riesigen Heckleuchten, breiten Fenstersäulen und insgesamt einer im Maßstab wachsenden, immer grobschlächtiger werdenden Dimensionierung. Da diese einzelnen Elemente (und das gilt besonders für Bedienelemente) nicht komplexer oder solider geworden sind, handelt es sich inzwischen oft um hohle, leere Formen, die nicht gemäß ihrer Funktion dimensioniert sind, sondern gemäß ihrer optischen Wirkung im Kontext des Gesamtfahrzeuges. Das ist technisch sinnlos, haptisch nicht immer angenehm, aber es hilft, die Elephantiasis unserer Fahrzeuge zu tarnen. Stellt man eines dieser »modernen« Autos neben eine der edlen automobilen Skulpturen der sechziger und siebziger Jahre, dann sehen sie tatsächlich aus, als entstammten sie einer anderen Welt, in der eine Krankheit ein monströses Wachstum aller Dinge verursacht.

Das Model 3 – erstaunlich für ein amerikanisches Produkt – ist von diesem Symptom vollkommen frei. Es ist geradezu zierlich und dabei substanziell. Es würde neben einem MGB oder einem E-Type von 1965 nicht »off scale« wirken. Trotzdem kann es z.B. neben einem A5 von heute bestehen. Model 3 hat ein menschliches Maß, und Dimensionen, die nicht auf die Wirkung in der fotografischen Reproduktion, sondern auf die Verfügbarkeit im Alltag hin optimiert sind. Das ist ein Teil des zweiten Teils der Magie.

Das Gesamtbild? Möglicherweise ergibt es sich aus einer Sammlung der Adjektive, mit denen ich das Model 3 in diesem kurzen Text bezeichnet habe. Es sind: vertraut, selbstverständlich, dezent, zurückhaltend, elegant, verletzlich, leistungsfähig, zierlich und substanziell.
Vielleicht erklärt sich aus dieser Reihe von Eigenschaften die »Liebe« von selbst, die das Produkt beim manchen wohl hervorruft.