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Als FIAT im Jahr 2007 den Retro-500 vorstellte, bekam das neue kleine Auto ein enormes Echo.
Die geplante Produktionskapazität reichte schon nach kurzer Zeit nicht mehr aus, Wartezeiten von bis zu 8 Monaten wurden angegeben und akzeptiert. Die Leute liebten das Ding offensichtlich, wozu sicher nicht nur die vertraute, knuffige und doch irgendwie moderne Form beitrug, sondern auch die vielen schicken Sonderausstattungen, Farben, Aufkleber, mit deren Hilfe jeder seinen “individuellen” 500 zusammenstellen konnte. FIAT hatte den Kleinwagen wieder attraktiv gemacht.
Der kritische Beobachter sah und sieht diese Vorgänge allerdings nicht ganz so begeistert. Was ist der neue FIAT 500 eigentlich? Er ist technisch im Wesentlichen ein FIAT Panda. Als dieser trägt er eine viertürige, fünfsitzige Karosserie, die nicht gerade elegant, aber durchaus pfiffig und vor allem funktional ist. Der stylische 500 verzichtet auf zwei der vier Türen, bietet weniger, und schlechter zugänglichen, Kofferraum und weniger Platz auf der Rücksitzbank. Nun ja, wenn die Käufer es wollen, sollen sie es kriegen.
Aber: Ist der kritische Beobachter gleichzeitig Designer, dann hebt er den Finger und stellt ein paar Fragen. Eine dieser Fragen dürfte sein, ob eigentlich niemand bemerkt habe, dass es bereits vier Jahre früher (also seit 2003) eine höchst intelligente, funktionale und charmante Neu-Umsetzung des guten alten Fiat 500 Nuovo-Prinzips gab: Den Nissan Micra. Wie bitte?
Das beherrschende formale Kennzeichen des originalen 500 Nuovo war die gegenüber der Seitenfenster-Unterkante nach unten versetze “Schulter”. Üblicherweise wird eine Karosserie direkt unterhalb der Fensterschachtleiste breiter. Man nennt das Schulter, und es hilft, den Fahrzeugkörper zu gliedern, bringt den optischen Schwerpunkt nach unten und lässt das Fahrzeug breiter und stabiler auf der Straße stehen. Beim kurzen und schmalen 500 von 1957 hatten die Stylisten durch das Versetzen dieser Schulter nach unten die Harmonie der Proportionen verbessert und, im Zusammenspiel mit den winzigen Rädern, im unteren Bereich der Flanke einigermaßen vertraute, vertrauenerweckende Verhältnisse hergestellt. Der Bereich zwischen der tiefen Schulter und der Unterkante der Seitenfenster ging auf intelligente Weise nach vorne in die Haube über, so dass von vorne gesehen eine höchst plausible Fügung erkennbarer Einzelteile, durch blitzsaubere Fugen getrennt und plastisch interessant, erkennbar wird. Hinten verzichteten die damaligen Gestalter auf eine so konsequente Gliederung, sondern sie zogen Heckklappe und Dach in relativ grafischer Art und Weise über den Körper, dabei scheinbar einen Fehler in Kauf nehmend: Die Unterkante der Heckscheibe biegt sich, weil sie auf einen kugeligen Körper projiziert ist, nach oben durch. Aber diese scheinbare gestalterische Ungeschicklichkeit hat Methode: Auf diese Weise wirkt der kleine 500, von hinten gesehen, dynamischer und kräftiger – und es wird ein Effekt vermieden, den ich hier einmal als “Burger-Look” bezeichnen möchte, also der Eindruck, das Volumen bestehe aus übereinander gelegten, dicken Schichten mit balligen Konturen.
Der Nissan Micra hat genau hier seine stärkste Stelle: Auch er verfügt über die versetzte Schulter, in moderner Weise mit einer scharfen Lichtkante sichtbar gemacht. Zusätzlich wird das Thema dadurch betont, dass der Bereich oberhalb der Schulter eher rund und weich, der darunter flach und hart modelliert ist. Am Heck lassen die Nissan-Designer die Schulterlinen lässig abfallen, dazwischen entsteht eine saubere, klare Fläche, auf der das kugelrunde Greenhouse propper darauf sitzt. Obwohl das Alles vordergründig nicht viel mit dem “Original”, also dem historischen 500 Nuovo zu tun hat, kommt es ihm in der Wirkung näher, als der von FIAT gebaute Retro-500.
Vor Allem aber hat es eine ganz andere Qualität.
Als der neue, der Retro-500, präsentiert wurde, überzog man die Fahrzeuge mit flexiblen Stoffoveralls, auf die der Ur-500 aufgedruckt war. Diese Hüllen wurden dann feierlich abgezogen und darunter kam die moderne Neuinterpretation zum Vorschein. Eine gute Idee, die jedoch das Designkonzept des neuen 500 regelrecht bloßstellte. Denn im Grunde war das unter der Hülle verborgene Fahrzeug nichts anderes als ein in den Maßverhältnissen leidlich angepasster Grundkörper, der die Struktur des Alten gewissermaßen als Flachrelief trägt. Die Schulter ist nur noch als Zeichen vorhanden, in Form einer flachen Sicke. Das Heck wurde “korrigiert” und hat damit gegenüber dem Vorbild an Originalität, aber auch an Dynamik verloren. Die optische Verbindung zwischen Rückenfläche und Dach blieb ebenfalls auf der Strecke. Der Neue wirkt insgesamt rundlich, doppelkinnig, grafisch. Selbst die Rückleuchten sind beim Nissan besser, weil plastischer, übersetzt.
In der Seitenansicht fällt auf, dass das hintere Fenster des Retro-500 in einem peinlichen Missverhältnis zum vorderen steht. So wird die Frage provoziert, warum man das Auto nicht einfach 5 cm länger gemacht hat, was nicht nur der optischen Ausgewogenheit zugute gekommen wäre, sondern auch entscheidende Zentimeter für eine wirklich nutzbare Rückbank gebracht hätte. Der neue ist ohnehin fast 60 cm (!) länger als das Original…
Bei der Front kommt ein anderes Problem zum Tragen (das auch den New Beetle belastet): Der Original-500 hatte ja einen Heckmotor. Folglich war die Front geschlossen und kompakt. Der Neue imitiert diesen Look, braucht aber unterhalb der Chromleiste, die den Stoßfänger zitiert – ohne dessen Funktion zu erfüllen – einen Lufteinlass. Semantisch gesprochen: Ist es keine Lüge, Täuschung ist es allemal. Darüber zeigt sich ein weiteres Mal, was passiert, wenn man die Struktur eines Klassikers lediglich grafisch auf eine moderne Form aufträgt: Es wirkt, als sei das hübsche, treue und etwas selbstzufriedene Gesicht des 500 aufgeblasen worden wie ein Ballon, so dass die Scheinwerfer-Augen nach oben wandern. So entsteht, auch mit Hilfe des Lufteinlasses, ein Clowns-Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen albern und bösartig zu finden ist.
Nissan geht den Thema ganz aus dem Weg. Hier sieht man das Familiengesicht mit den Schnurrbart-Lufteinlässen. Die Scheinwerfer sind mit ihren amorphen Konturen nicht gerade schön und heute auch nicht mehr zeitgemäß, zumindest sind sie aber eigenständig, originell und zeigen eine interessante Lösung für einen wirklich von überall her sichtbaren Blinker.
Leider: Für mich ist der neue FIAT in dieser Form nichts weiter als ein oberflächliches Modeprodukt – erfolgreich, beliebt, aber ohne rechte Substanz. Dabei wäre es hochinteressant gewesen, in diesen Dimensionen das Erbgut eines der wichtigsten Fahrzeuge der Autogeschichte umzusetzen. Der Nissan zeigt, dass das prinzipiell machbar ist – wenn man es substanziell angeht und in Kauf nimmt, dass nicht jeder es nach dem ersten Blick versteht.
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